Dienstag, 17. Juni 2008

Handout/Jennifer Fandrich/Venedig-Bilder und Venedig-Deutungen des 19.Jahrhunderts


Venedig-Bilder und Venedig-Deutungen des 19. Jahrhunderts

Der Ausgang / Die Ausgangslage:

Politisch: Der Untergang

1797 verlor die Adelsrepublik durch Napoléon Bonaparte ihre Selbstständigkeit
Oktober 1797 Frankreich überließ die Stadt Österreich im Austausch gegen die Lombardei
1805 erneuter Tausch, Napoleons Armee zog wieder in Venedig ein, Napoleon war inzwischen Kaiser
1815 Wiener Kongreß schlug Venedig wieder den Habsburgern zu
1848/9 demokratischer Aufstand gegen die Österreicher scheitert
1866 Angliederung Venedigs an das Königreich Italiens

Vedutenkunst:
Eine Vedute (italienisch veduta: Ansicht, Aussicht) ist in der Bildenden Kunst die wirklichkeitsgetreue Darstellung einer Landschaft oder eines Stadtbildes. Dem Ziel der realistischen Abbildung sind alle anderen Aspekte bei der Bildgestaltung (Licht und Schatten, Farben, etc.) untergeordnet. Zweck ist es, wichtige Monumente von historischer oder religiöser Bedeutung bzw. besondere Feierlichkeiten (Prozessionen, Erbhuldigungen etc.) zu verewigen.

Wichtigste Vertreter der venezianischen Vedutenkunst:
Antonio Canaletto (1697-1768):
Seine Grundkonzeption richtet sich auf das Monumentale und Dauernde, das Denkmalartige der Serenissima. Er beobachtete als kühl konstatierender Historiker.

Francesco Guardi (1712-1793):
Gedicht steht gegen Bericht (Canalettos). Guardi zeigt das Bewegte, die Lust am Augenblick, Menschenmengen, die sich triebhaft auf den Kanälen, Straßen und Plätzen tummeln. Diese Struktur seiner Einbildungskraft befähigt Guardi, eine neue Dimension der Stadt zu zeigen: er deutet stärker Venezia memore, das abseitige Venedig an. Er malt die Dekadenz Venedigs mit einer skeptische Melancholie.

Goethe (1749-1832):
Formuliert in seinen Tagebüchern vom September 1786, was künftig die gesamteuropäische Venedig-Sicht bestimmen sollte: „Sie (die Markusrepublik) unterliegt der Zeit wie alles was ein erscheinendes Daseyn hat.“

Malerei

Historienmalerei
Eugène Delacroix (1798-1863):

Enthauptung des Dogen Marino Falier (1826, London, Wallace Collection)
Entstand nach Byrons Schauspiel „Marino Falier, Doge of Venice“ (1820)
Francesco Hayez (1791-1882):
Erster, bekannteste und talentierteste romantische Maler von Historienstücken
Stil: melodramatisch und formal geprägt, Gespür für Kompositionen, venezianisch beeinflusster Farbensinn

Europäische Einflüsse:

William Turner (1775-1851):

britischer Maler und führender Vertreter der Romantik; er gehört zu den größten englischen Künstlern. Turner besuchte Venedig erstmals 1819, dann noch einmal in den Jahren 1833,1840.
àTurner feiert nicht die tote Stadt, sondern stellt Venedig als einen magischen Ort dar, um Assoziationen an den ehemaligen Reichtum heraufzubeschwören.

James Abbott McNeill Whistler (1834 -1903):
US-amerikanischer Maler, 1879 reiste Whistler im Auftrag einer Londoner Galerie nach Venedig, wo er zahlreiche Pastelle und Radierungen schuf.
Oscar Wilde über Whistler:
„Ich habe Jimmy Whistler in London oft "en passant" gesehen. Er hat gerade eine zweite Serie von Radierungen über Venedig fertiggestellt - Wassergemälde, wie sie auch die Götter noch nie geschaut haben. Seine Ausstellung wird in vierzehn Tagen in einem gelbweißen Raum eröffnet (vom Meister der Farben ausgestattet) mit einem erstaunlichen Katalog. Das zu malen, was man sieht, ist eine gute Regel in der Kunst, aber zu sehen, was zu malen wert ist, ist besser. Betrachten Sie das Leben unter dem Aspekt des Malers. Es ist besser, in einer Stadt mit veränderlichem Wetter als in einer Stadt mit lieblicher Umgebung zu leben. Nachdem wir gesehen haben, was den Künstler ausmacht und was "der" Künstler macht, nun die Frage, wer ist der Künstler? Unter uns lebt ein Mann, der alle Qualitäten der edelsten Kunst in sich vereint, dessen Werk eine Freude für alle Zeiten und der selbst ein Meister aller Zeiten ist. Dieser Mann ist Whistler.“

Claude Monet (1840-1926):
Monet hielt sich in seinen letzten Lebensjahren zusammen mit seiner Frau in Venedig auf, im Jahr 1908. Es zeigten sich erste Anzeichen seiner Augenerkrankung. Dort malte er nicht nur, sondern studierte in Kirchen und Museen Werke von Künstlern wie Tizian und Paolo Veronese. Monet begann viele Gemälde in Venedig und überarbeitete sie manchmal jahrelang noch im Atelier. Zum Teil beginnt er die Bilder noch einmal von Neuem. Damit spielt die Erinnerung an das Motiv und Empfindung eine größere Rolle ein, als das ursprüngliche Motiv. Seine Werke aus Venedig wurden erneut von den Kritikern lobend aufgenommen. So wurden die Bilder beispielsweise als „farbig schillernde Ferien“ bezeichnet.


Das proletarische und triviale Venedig
Der Hang zum proletarischen Venedig bekundet sich bei Künstlern wie Ettore Tito (La pescheria vecchia a Rialto, (1887) ), Allessandro Milesi (La colazione del gondoliere (1893)), Domenico Bresolin (Casa diroccata (vor 1859)) u.v.m.
Das triviale Venedig wird von Vilhelm Marstrand, einem dänischen Spitzweg, karikiert (Das englische Paar in der Gondel (1854) und findet sich auch in vielen Darstellungen von Hochzeiten und Hochzeitpaaren in den Lagunen, etwa bei Favretto ( In Erwartung des Brautpaares (1879)), oder Milesi (Heirat in Venedig (1897)).

Städtische Entwicklung

Napoleons Beitrag zur Stadtgeschichte besteht zum einen Teil darin, dass er eine Menge von Kunstwerken nach Paris schaffen ließ und die Ordenshäuser auflöste. Städtebaulich ging das Schicksal der Stadt auch einen Schritt in die Moderne: dazu gehörten die weitere Nutzbarmachung und Neugewinnung von Land. . Einer der dramatischten Eingriffe war die Zerstörung des Westendes der Piazza , un dort die Ala Napoleonica zu erbauen, den Napoleanischen Flügel.
Im weiteren Verlauf der Modernisierung:
Erweiterung des Wege- und Straßennetzes (Bau der Strada Nova 1871), Zuschüttung von Kanälen
1846: Bau der Eisenbahn: Personen und Güter kamen einfach und schnell nach Venedig
à Das implizit zugrunde liegende Stadtkonzept war konventionell und eindimensional. Das Verständnis für das höchst komplexe Ganze, das in den Zeiten der Republik mittel-und langfristig in aller Regel doch die Oberhand behalten hatte, gab es nicht mehr. An die Stelle jahrhundertslanger Erfahrung trat eine nicht selten naive Begeisterung für alles, was nur irgendwie neu erschien.


Literatur:

Parallel zur Modernisierung der Stadt entstand ein Venedigbild, das der alltäglichen Wirklichkeit der Stadt eine virtuelle literarische entgegenstellte, die bald die mächtigere werden sollte und schließlich auch auf das tatsächliche Geschehen der Stadt zurückzuwirken begann. Anfangs lagen beide Wirklichkeiten noch nahe zusammen, wie Lord Byrons Dichtungen zeigen:
Lord Byron (1788-1824):
Britischer Dichter, übersiedelte 1816 nach Venedig, in die nun österreichische Provinzstadt. Die Stadt hatte nach dem Abzug der Franzosen politisch, wirtschaftlich und emotional den tiefsten Punkt ihrer Existenz erreicht.
„Ode on Venice“ (1818) beklagt den Untergang Venedigs:
„Oh Venice! Venice! When thy marble walls
Are level with the waters, there shall be
A cry of nations o`er thy sunken halls,
A loud lament along the sweeping sea!”
Während seines Aufenthaltes publizierte er 1816 den dritten und 1818 den vierten Gesang seines Versepos “Child Harold`s Pilgrimage“, die ihn zu einem der gefeiertesten Dichter seiner Zeit machen sollte.
àByrons Venedig war ein literarisches Venedig, die physische und soziale Wirklichkeit der Stadt blendete er aus seiner Dichtung ebenso aus wie die Neuerungen der napoleonischen Zeit.

Franz Grillparzer (1767- 1819):
“Der erste Eindruck war fremd, einengend, unangenehm. Diese morastige Lagune, diese stinkenden Kanäle, der Schmutz und das Geschrei des unverschämten betrügerischen Volkes geben einen verdrießlichen Kontrast mit dem kaum verlassenen heiteren Triest.“

John Ruskin (1819-1900):

englischer Schriftsteller, Maler,Kunsthistoriker und Sozialphilosoph.
„Stones of Venice“ (London, 1851/53) war das einflussreichste Venedigbuch des 19.Jahrhunderts. Für ihn war Venedig zugleich Memento Mori und Denkmal:
„Seit zuerst die Herrschaft des Menschen sich über das Weltmeer geltend machte, sind drei Reiche von höherer Bedeutung als alle anderen an seinen Gestaden errichtet worden:Die Reiche von Tyrus (=Atlantis), Venedig und England. Von der ersten dieser großen Mächte besteht nur die Erinnerung, von der zweiten der Verfall; die dritte, die ihre Größe erbt, kann, wenn sie ihr Beispiel vergisst, durch stolze Erhöhung zu minder beklagten Untergang geführt werden.(…) Ihre Nachfolgerin (=Venedig), die ihr in der Vollkommenheit der Schönheit gleich kam, wenn auch weniger in der Dauer der Herrschaft, ist uns noch geblieben und wir dürfen in der Schlussphase ihres Niederganges betrachten; ein Gepenst am Gestade der See, so schwach – so still - so beraubt allen Besitzes, nur nicht ihrer Lieblichkeit, daß man im Zweifel sein kann, wenn man ihr mattes Abbild in der Spiegelung der Lagune erblickt, welches die Stadt und welches der Schatten ist.“
Er sah seine wesentliche Aufgabe in der systematischen Erforschung der mittelalterlichen Architektur Venedigs. Mit seinem Buch „Seven Lamps of Architecture“ hat Ruskin hat ganze Generationen Wert und Würde des Alterns in der Architektur respektieren lassen, das er als eine Form des Lebens verstand, nicht als eine Vorform des Todes.


Souvenirkarten:

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts lieferte die Schweizer Firma "Photochrom Zürich" (P.Z.) Serien von Andenkenbildern aus den Metropolen Europas, von Landschaften und Ausflugszielen. Während sich die Lagunenmetropole im Untergang befindet und zahlreiche Bewohner ihre Heimat verlassen, lockt der marode Charme Touristen an - und die noch junge Fotografie eröffnet völlig neue Möglichkeiten, den Daheimgebliebenen nun mit Souvenirkarten von der Großartigkeit der eigenen Reise zu berichten.

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