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Freitag, 16. Mai 2008

Bildbeschreibung/Juliane Link/ Tizians Pesaro-Madonna

Ekphrasis zu Tizians Altarbild der Pesaro-Maodonna von 1526 (für die Seitenkapelle der Frari Kirche)

Im unteren Bilddrittel befinden sich zwei Figurengruppen, die zur Rechten und zur Linken des Heiligen Petrus knien, der auf einem durch zwei Stufen erhöhten Podest zu sitzen scheint. Seine rechte Hand hat er zwischen die Seiten eines aufgeschlagenen Buches gelegt. Während rechts von ihm ein dunkel gekleideter Mann eine rote Fahne schwenkt, auf der deutlich ein Wappen zu erkennen ist, befindet sich zu seiner Linken ein Sockel aus Stein, auf dem die Muttergottes mit dem Jesuskind thront, allerdings nicht in der gewohnten statischen, ikonenhaften Haltung und frontaler Ansicht, sondern als lebensnahe Figur, die sich leicht zu Petrus hinunterbeugt, als wollte sie in dem aufgeschlagenen Buch lesen. Das nackte Kind in ihren Armen ist ebenfalls in Bewegung, es hat das linke Bein erhoben und greift mit der linken Hand hinter sich in das weiße Kopftuch Marias, die leichte Drehung des Körpers verleiht der Bewegung beinahe etwas tänzerisches und wirkt verspielt, nicht mehr statuenhaft und versteinert wie bei ältern Darstellungen dieser Art.

Zu Füßen des Jesukindes befinden sich aufrecht stehend der Heilige Domenicus im einer dunkelbraunen Kutte und hinter ihm ein weiterer Mann, von dem jedoch nur das Gesicht zu erkennen ist, da sein Körper im Schatten liegt. Am rechten unteren Bildrand knien vier Männer in vornehmen Gewändern und zwischen ihnen ein Junge, der den Betrachter als einziger unverwandt ansieht. Bei den Gläubigen, die die Hände wie zum Gebet aufeinander gelegt haben, handelt es sich um Angehörige der Familie Pesaro, die Stifter des Bildes.

Über die Figurengruppe, die entlang einer von rechts nach links verlaufenden Diagonalen bis zur Madonna aufsteigt, erheben sich im Hintergrund zwei mächtige Säulen, hinter denen sich ein leicht bewölkter Himmel öffnet. Die obere Bildzone des Hochformats schließt in einem bogenförmigen Halbrund ab, das sich in die Architektur des Kirchenschiffs einpasst, sodass die umgebenden Säulen und Rundbögen mit der innerbildlichen Architektur korrespondieren und die Grenzen zwischen Bild und Realität verwischen. Am oberen Bildrand, direkt unter dem Rundbogen schweben zwei geflügelte Putten auf einer Wolke und halten ein Kreuz, jedoch nicht senkrecht sondern so, dass es die Diagonale der Figurengruppe im unteren Bildteil wiederholt.

Ein besonderes Gestaltungskriterium, das dem Bild seine Vitalität und Ausdruckskraft verleiht, ist die Farbe, für Tizian Grundsubstanz seiner Malerei. Hierbei fällt auf, dass die Figuren an den Bildrändern in dunkeln, unauffälligen Farben gestaltet sind und sich nur wenig von den dunklen Steinsäulen abheben. Petrus, der sich in der Bildmitte befindet erstrahlt stattdessen in einem ultramarinblauen Gewand, dessen Farbe sich im Mantel der Maria wieder findet, um seine Hüften ist ein gelbes Tuch geschlungen, sodass ein belebendener Farbkontrast entsteht. Die Muttergottes trägt ein leuchtend rotes Kleid, im gleichen intensiven Farbton ist außerdem die Fahne am gegenüberliegenden Bildrand gestaltet, die dadurch eine besondere Bedeutung erhält und mit Maria in Zusammenhang gebracht werden könnte. Auch das Gewand des Stifters der direkt unter der Muttergottes steht ist von besonderer Farbigkeit, ein dunkles Karminrot durchdringt den wertvollen Stoff. Da das Bild außer dieser starken Farbakzente in dunklen, gedämpften Farben gestaltet ist, treten die hellen Hautpartien hervor, sodass die Gesichter sowie die nackten Körper der Engel und des Christuskindes dem Betrachter besonders ins Auge fallen.

Die Bildkomposition sprengt den üblichen Rahmen einer Sacra Conversazione, bei der die Madonna mit dem Kind auf der Mittelachse im Zentrum des Bildes positioniert wird, während sich die Heiligen zu beiden Seiten in symmetrischer Anordnung um die Muttergottes scharen. Tizian rückt die Muttergottes aus dem Zentrum, verleiht ihr jedoch trotzdem eine herausragenden Stellung innerhalb der Bildkomposition, indem er sie an den höchsten Punkt einer Dreieckskonstellation setzt, sodass ihre Gestalt die restlichen Figuren überragt und die Diagonalen auf sie zu führen. Durch das Verrücken der Madonna wird die Statik der Komposition aufgebrochen und die einzelnen Figuren erhalten einen „Bewegungsspielraum“. Eine weitere Besonderheit des Bildes entsteht durch das Verschmelzen zweier getrennter Bildtypen, die Tizian mit der Pesaro-Madonna in einem Bild vereint: Bisher war es nicht üblich gewesen neben den Heiligen auch die Stifter an der Sacra Conversazione teilhaben zu lassen, diese wurden vielmehr auf Votivbildern dargestellt. Tizian erneuerte auf diese Weise das Altarbild, da er die Gläubigen in das Geschehen mit hinein nahm und ihnen einen Zugang zu den Heiligen und der Muttergottes schuf, deren Unnahbarkeit zugunsten einer größeren Ausdruckskraft und Vitalität aufgegeben wurde.

Donnerstag, 1. Mai 2008

Venedig/ Ekphrasis/ Marion Starke/ Ekphrasis

Ekphrasis
  • (griechisch ἔκ-φρασις für „Beschreibung“, lat. descriptio, Plural „Ekphraseis“)

  • Ekphraseis als literarische Form der Bildbeschreibung, durch welche etwas sehr anschaulich und bildlich beschrieben oder geschildert wird. Im engeren Sinne bezeichnet man als Ekphrasis die literarische Beschreibung eines Werks der bildenden Kunst, als Bildbeschreibung.

  • Die Spezialisierung im Sprachgebrauch der Kunstwissenschaft ist den antiken Rhetorikern und Autoren noch fremd, ihnen konnte alles Gegenstand einer Ekphrase sein (z..B. Personen, Orte, Ereignisse, Gegenstände).

--> Kunst- und Architekturbeschreibungen des Mittelalters mit ihren antiken Vor-Bildern


  • Der Grad der Anschaulichkeit unterscheidet die Ekphrasis dabei vom sachlichen Bericht.

  • Es handelt sich um eine literarische Visualisierungsstrategie: Die Ekphrase versucht, den „Zuhörer zum Zuschauer zu machen“ (so Nikolaus von Myra) und eine quasi synästetische, ganzheitliche Erfahrung zu suggerieren. Sie steht damit im Spannungsfeld zwischen Betrachtung und Ästethik.

  • Für die Moderne setzt sich dennoch weitgehend die Bestimmung der Ekphrasis als Kunstbeschreibung durch. Dabei wird häufig mehr das Dargestellte (die Bildhandlung) veranschaulicht als die Wirkung oder die Wahrnehmung. Dies hängt mit der Betonung der storia („Erzählung“) als herausragender bildnerischer Qualität seit Leon Battista Alberti zusammen.

  • Diese Betonung der narrativen Handlung muss jedoch mit der zunehmenden Lösung der bildenden Kunst von narrativen und repräsentativen Aufgaben (vgl. abstrakte Malerei) in Frage gestellt werden. Vor dem Hintergrund des Verständnisses als Kunstbeschreibung ist auch die Definition der Ekphrasis als verbal representation of visual representation (James A. Heffernan), also der Ekphrasis als doppelter Vermittlung des Realen, als Abbildung des Abgebildeten, zu verstehen (die Beschreibung eines Blumenstraußes ist keine Ekphrasis, wohl aber die Beschreibung des Bildes eines Blumenstraußes).

  • Ekphraseis kommen als eigene Gattung oder als Bestandteil narrativer Texte vor. In letzteren dienen sie unter anderem zur emotionalen Beteiligung der Leser/Hörer, als Parallelerzählung, intratextuelles Fenster oder zur Überbrückung von Ort und Zeit.

  • Die Ekphrasis ist so alt wie die abendländische Dichtung. Angefangen vom Schild des Achilles in Homers "Ilias", finden sich sprachliche Darstellungen von Gemälden, Skulpturen und anderen visuellen Medien in allen Epochen der Literaturgeschichte.

  • Die Ekphrasis verwandelt den Leser in einen Bildbetrachter, der doch nur Worte vor Augen hat, und führt ihn durch imaginäre Räume, die doch nur in seiner Vorstellung existieren.

  • vielseitige Funktionalisierbarkeit: dient als repräsentationstheoretische Reflexion, aber auch als Waffe im Wettstreit der Künste und als narratologisches Strukturelement.