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Montag, 23. Juni 2008

Querschnitt durchs Notizbuch/ Svenja Wolff

Ein Querschnitt durch mein Notizbuch. (zusammenhangslos)


...doch das wirklich Spannende: Das unerklärliche Aufgesogen- Werden von Kunst.
Nicht genug davon zu kriegen, ein Bild zu lesen, Detail für Detail, einzuordnen, zuzuordnen, Achsen, Linien, Pinselstriche nachvollziehen, Farben sehen.
Irgendwann Überlastung, überladen sein wie die Kassettendecken im Dogenpalast.

Hier, jetzt, ich, finde ich im Vergangenen ein Stück von mir, jetzt, hier. Spiegeln mir die Bilder, was ich sehen will, was ich eh in mir trage.

Ich schreibe abwertend, mit zynischer Distanz, ich will der Stadt gar nicht glauben, das passt nicht zu meinem Bild von mir als Schreiberin. Zwischendurch frage ich mich: ist nicht eh schon alles gesagt? Alles unzählige Male beschrieben? Warum auch ich nochmal? Anders sehen??

Die Stadt ist ein bisschen ‚too much’.
Oft ertappe ich mich dabei, auf Karten oder auf Venedig- Bilder in Läden zu schauen, anstatt mich auf meine reale Umgebung zu konzentrieren.

Irgendwann scheint das Morbide der Gemäuer aufgesetzt, als würden die Fassaden mit Absicht bröckeln. Venedigs Charme wurde in ihren Bildern verbraucht. Das Echte wirkt nicht mehr echt. Wird es dadurch umso Leibhaftiger? Weil es eben doch echt ist und keine Disneylandkulisse?

Ikonen des 13. Jh. (erster Saal in der Accademia):
Wie fein Licht und Schatten auf den Hautgrund gesetzt sind! Lasierend, fließende Übergänge. Ganz entgegen dem Eindruck der Flächenhaftigkeit, der sich aus der Ferne einstellt. Da stechen plötzlich Kontraste ins Auge, Haut gegen Gewänder, gegen Goldgründe.

Was mich nervt: ‚Standbilder’ von irgendwelchen Heiligen. Pfeile in der Brust.

18. Jahrhundert ist scheiße.

Markuskirche. In der Krypta. In einer Gruft, mit angenehm gruftigem Geruch, von dem mir ein wenig schwummerig wird. (Oder ist es die Anstrengung des Tages? Die wackeligen Böden?)
Ein steinaltes Ziegel- Tonnengewölbe. Ich denke an Weinkeller. Doch das hier ist älter. Außerdem sind wir unter Wasser. Ich denke an die 10cm Hochwasser in der Eingangshalle.

Samstag, 21. Juni 2008

Notizen aus Venedig/ Svenja Wolff

SAN MARCO

Es scheint, als gehe die Sonne auf, als der Wächter langsam das Licht hochfährt und die Glocken in der Ferne zufällig läuten.

Erst ein warmes orange, die Kuppeln beginnen zu funkeln, je stärker das Licht aufgedreht wird, umso mehr strahlt die ganze Decke, umso goldener wird alles. Wir sind alleine in der Kirche von San Marco.

Ich höre das Surren der Scheinwerfer. Wir sind klein. Die unglaubliche Höhe der kreisrunden Kuppeln, die Überflut an Gold, kleinsten goldenen Steinchen, sie überrollt mich. Wir werden überflutet von goldenen Mosaiken.

Vor dem Eingangsportal steigt eine andere Flut, das Wasser Venedigs, das langsam über den Marmor vorwärts kriecht, Stein für Stein überzieht, einnimmt; weiß, türkis, dunkelrot, smaragdgrün, wieder rot, und sie in ein paar Stunden wieder freigeben wird. Dann sind wir nicht mehr hier.

Freitag, 20. Juni 2008

Instant /Notizen aus venedig/ Svenja Wolff

Ankommen in Venedig
Backstein. Viele Backsteine, rostrot, ziegelrot, alte Gemäuer. Ein ergrauter Herr, eigentlich schon ‚erweißter’, steht mit einem grünen Bund Spargel vor seiner hölzernen Haustür, kramt nach seinem Schlüsselbund.
Ich bin beruhigt, es gibt fantastischen Cappuccino für ein Euro zwanzig.
Und das moosige Grün, das grau-grün meiner Kindheitserinnerung, dass ich es heute wieder finde im Wasser - dass es sich überhaupt damals so sehr in mein Gedächtnis gebrannt hat.
Die Backsteine und der Geruch von Salz erinnern mich an den Ort, an dem ich aufgewachsen bin. Ich finde ein Stück Schleswig- Holstein in Venedig.
Dagegen: es ist schwül und die Zeit tickt anders. Während ich an einem schmalen Kanal sitze, wo zwei Arbeiter eine schwere Kiste in ihr Boot laden, schallt hinter mir „wake me up before you go-go“ aus einer kleinen Bar und ein süßlicher Backwarengeruch zieht vorüber. Tauben mit fast schwarzen Köpfen. Wäscheleinen an den Fenstern.

Montag, 16. Juni 2008

Handout/ Andrea Palladio/ Svenja Wolff

Andrea Palladio (1508-1580)
„Von all den Architekten, die vor unserer Zeit gelebt haben, ist Palladio wahrscheinlich der einflussreichste und bekannteste.“ - Howard Burns
Lebensdaten in Stichworten
●Geboren in Padua am 30. November 1508 als Andrea die Pietro della Gondola
●1521 Lehre als Steinmetz in Padua, Flucht und Übersiedelung nach Vicenca
●Seit 1524 Mitglied der Maurer- und Steinmetzzunft; Arbeit in der Werkstatt Pedemuro in Vicenca. Keine eigenständigen Arbeiten aus dieser Zeit bekannt.
●1534 Hochzeit mit Allegradonna, einer Zimmermannstochter; 5 Kinder
●Erster Mäzen Giangiorgio Trissino: Bringt ihm Architekturtheorie nahe; reist mit ihm nach Rom, gibt ihm den Namen Palladio
●1540 Palladio offiziell als Architekt bezeichnet. Es folgen viele Aufträge zunächst für den Bau von Profanbauten (Villen, Palazzos), sowie Brücken, öffentliche Gebäude und später Sakralbauten.
●ab 1550ern: enge Zusammenarbeit mit Daniele Barbaro
●1554 Veröffentlichung von Schriften über römische Architektur
●1570 erscheinen die Quattro Libri
●19. August 1580 Tod Palladios

Reisen: In seinem Bestreben, die bedeutendsten Bauwerke kennenzulernen, bereist Palladio viele Provinzen Italiens (Tivoli, Palestrina, Albano), Rom, Venedig, die Provence. Er vermisst, zeichnet und katalogisiert überall antike Bauten und ihre Überreste.

Einflüsse auf Palladio durch seine Zeitgenossen
Neben dem Studium der antiken Architektur wird Palladio ebenso stark von der zeitgenössischen Architektur geprägt: Sebastiano Serlio, Giulio Romano, Jacopo Sansovino, Alvise Cornaro, Donato Bramante, Michelangelo u. a.
Als (theoretische) Schlüsselwerke für den werdenden Architekten zählen vor allem das Vitruvs (1. Jh. v. Chr.) und Leon Battista Alberti (1404-1472)
Vitruvs „Zehn Bücher über Architektur“ ist die einzige überlieferte Schrift der Antike solcher Art. Er legt u. a. dar, dass die Tätigkeit des Architekten sich sowohl aus Handwerk als auch aus geistiger Arbeit zusammensetzt und sieht ihn somit als Künstler.
Alberti unternimmt mit seinem Buch „De re aedificatoria“ 1452 den Versuch, antikes Wissen um die Baukunst auf die Gegenwart zu übertragen. Er erfasste Wert und Wirkung der Architektur als Gehäuse, in dem sich soziales und religiöses Leben abspielten.

Palladios Mäzene
In der Renaissance fand das Mäzenatentum Eingang in die bürgerlichen Kreise. Durch die wirtschaftliche Entwicklung Italiens und den Handel seit Anfang des 15. Jh. entsteht eine wohlhabende Gesellschaft, die die Grundvoraussetzung für die Hinwendung zum Weltlichen und zur Wissenschaft der Renaissance bildet.
Architektur wird in dieser Zeit eng mit Machtansprüchen, Reichtum und Prestige verbunden und war ein Mittel, die Lebensweise und -qualität des öffentlichen und privaten Lebens zu formen.

Giangiorgio Trissino: Die Begegnung mit und Förderung durch den adeligen Dichter und Humanisten aus Vicenca war bedeutete die entscheidende Wende in Palladios beruflicher Entwicklung. Ohne Trissino hätte der damalige Handwerker niemals die kulturellen und intellektuellen Grundlagen erlangt, die Voraussetzung für sein Schaffen als Architekt waren. Durch Trissino lernte Palladio u.a. die antike und zeitgenössische römische Architektur kennen und die Schriften Vitruvs. Er spielte sicherlich auch eine entscheidende Rolle bei der Auftraggebung und Weiterempfehlung.

Daniele Barbaro: Der venezianische Patrizier arbeitet an einer neuen Übersetzung Vitruvs. Palladio illustriert und kommentiert die Übersetzung. Die enge Zusammenarbeit und das intensive Studium Vitruvs trägt zur Ausformung Palladios Architektursprache bei und gibt ihm Anregungen zu bestimmten Motiven (u.a. Tempelfront der Villen; zwei Stockwerke umfassende kolossale Säulenordnung)


Historischer Kontext
Die Renaissance

●1400-1600. Erstmals seit der Antike orientiert sich die Kunst am Naturvorbild (jedoch idealisiert). Formenwelt der Antike gilt hierbei als Vorbild
●das Streben, die diesseitige Realität zu erfassen
●“Die Entdeckung der Welt und des Menschen“: Von einem theozentrischen zu einem anthropozentrischem Weltbild. Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit.
●Beeinflussung durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse und Entdeckungen
●Die Künstler versuchten, analog zur Wissenschaft, auch die Gesetze der Kunst zu erkennen und in Kunsttheorien zusammenzufassen
●Es wurde ein Monumentalstil geprägt, der auf antike Säulenordnungen zurückgriff und sie als Kolossalordnung über mehrere Geschosse ausbildete
●Nicht die Übernahme antikisierender Einzelformen, sondern die am Menschen orientierten Maßverhältnisse und Proportionen sind hier das Wesentliche

Der Veneto im 16. Jahrhundert
● 1509-1516 Krieg gegen die Liga von Cambrai. Festlandverluste Venedigs.
Seuchen, Hungersnöte. Wirtschaftliche Zerstörung des Veneto, Folgen bis in die 20er Jahre hinein spürbar. Zurückeroberungen Venedigs auf dem Festland.
●Folge: ab den 1530er Jahren starke Förderung des Aufbaus einer eigenen Landwirtschaft (Streben nach wirtschaftl. Unabhängigkeit). Bau vieler Wohnsitze der neuen Landbesitzer war vonnöten.

Palladios Werk

Die „Quattro Libri“ – die vier Bücher der Architektur (1570)
Diese Schriften machten Palladio schon zu Lebzeiten rasch über die Grenzen seines Landes hinaus bekannt. Sie waren die erste so umfangreiche theoretische Grundlage, durch die sich in den folgenden Jahrhunderten die „palladianische“ Bewegung in der ganzen Welt verbreitete.
Palladio legt in seinen vier Büchern Regeln für Ordnungen, Raummaße, Treppen und Detailentwürfe fest. Er orientiert sich stark an Vitruv; setzt seine eigenen Studien der antiken Baukunst (in Theorie und praktischer Ausführung) jedoch in Verbindung mit der gegenwärtigen Baupraxis und entwickelt schließlich eine Systematik von miteinander in Beziehung zu setzender Elemente, die in ihrer Komposition durchgehend bestimmten Proportionen und Ordnungen folgen.
Buch I: Abhandlung über Vorgehensweise, Materialien und einzelnen Elementen eines Gebäudes
Buch II und III: eine Art Retrospektive seiner eigenen entwürfe von Stadtpalästen, Villen, öffentlichen Gebäuden und Brücken
Buch IV: Beschreibung römischer Tempel, die er eingehend studiert hatte

Palladianische Merkmale im Baustil
Drei wesentliche Dinge, die beim Bau beachtet werden sollten: 1) der Nutzen oder die Annehmlichkeit, 2) die Dauerhaftigkeit und 3) die Schönheit

„Schönheit entspringt der schönen Form und der Entsprechung des Ganzen mit den Einzelteilen, wie der Entsprechung der Teile untereinander und dieser wieder zum Ganzen, so dass das Gebäude wie ein einheitlicher und vollkommener Körper erscheint. Entspricht doch ein Teil dem anderen und sind doch alle Teile unabdingbar notwendig, um das zu erreichen, was man gewollt hat.“ - Palladio
„Dem aufmerksamen Beobachter wird der Unterschied zwischen dem palladianischen Architektursystem, in dem Struktur und Ornament, Funktion und Aussehen engstens miteinander verbunden sind, und dem Wunsch eines Konditors klar, der seine Torte mit einem noch dickeren Zuckerguss verzieren möchte.“ - Howard Burns
Die Bedeutung und Wirkung Palladios
Was unterschied Palladio von seinen Zeitgenossen und was machte ihn über Jahrhunderte hinaus so bedeutsam? Palladio hatte sich ab den 1550ern ein einheitliches Repertoire an Typen, Räumen und Formen für die Ordnungen erarbeitet. Er entwickelte eine eigene Systematik - eine „Grammatik aus Formen und Proportionen und ein geregeltes Vokabular an Motiven“ - die auf dem Zusammenspiel von sorgfältig bestimmten Elementen fußte und sich in ihren Proportionen an der Natur und den Gegebenheiten der Materialien orientierte.
Sein Einfluss beruht nicht nur auf seiner rationalen Architektur und klaren Formensprache, sondern auch auf dem Wert seiner Schriften.

Samstag, 14. Juni 2008

postvenedig/ endgültiger text/ svenja wolff/ das zeitlose suchen

Neue Fassung, Montag, 23.6.


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Das Zeitlose suchen


Zwischen Geschichte und Gegenwart liegt die Stadt. Ist ganz Venedig ein Museum?
Was machen die Bilder mit uns? Was machen wir mit den Bildern? Wäre irgendetwas denkbar ohne Kunst? Wäre irgendetwas denkbar ohne Geschichte?


Vom Ufer der Riva, vom Dogenpalast aus, blickt man über das grüngraue Wasser der Lagune auf die strahlend weiße Kirche San Giorgio Maggiore. Istrischer Marmor. Kolossal steht sie da, in ihrer konsequenten Symmetrie, die Handschrift Andrea Palladios deutlich lesbar.
In ihr vereint, das Zitat zweier antiker Tempelfronten, übereinander gesetzt und zu einer Fassade verschmolzen. Massive Säulen treten aus ihr hervor, Giebel zeichnen sich ab.
Gekrönt von fünf Statuen, mit Zahnfries und korinthischen Kapitellen versehen, ist sie verziert und dennoch in ihrer Struktur ganz klar und deutlich.

In Venedig ist das Vergangene die Gegenwart. Man ist umgeben von jahrhundertealten Steinen, Gemäuern, Gebäuden, wird eingehüllt von der Geschichte, in Form von unzähligen Gemälden, verzierten Fassaden, Säulen, Reliefs, architektonischen Meisterwerken. Alles aus längst vergangener Zeit, und nicht nur im Fall Palladios, sich sogar damals schon auf Vergangenes beziehend.

Andrea Palladio. Einer der bedeutendsten Architekten der Vergangenheit. Und der Gegenwart? Zu seinen Lebzeiten und über sie hinaus war er es. Die Gunst der Renaissance - dem Lebenswandel zum Weltlichen im 16. Jahrhundert - hat er es zu verdanken, dass seine Villen auf dem Festland sich äußerster Beliebtheit freuten, und ihm schließlich auch Aufträge in der edlen, mächtigen Stadt einbrachten. Wie besessen erforschte und zeichnete er alte, römische Tempel und las die Schriften Vitruvs, um die Essenz der antiken Baukunst herauszufiltern und die seinige mit ihr anzufüllen.

Was erzählt sie heute, die alte San Giorgio? Was erzählt sie den Menschen, die mit dem Vaporetto übersetzen um zu ihr zu gelangen, sich ihr langsam übers Wasser nähern, bis sie vor ihr stehen, auf warmem glattem Stein. Sind sie beeindruckt von ihrem Konstrukt? Von ihrer Massivität? Oder lockt sie nur der Glockenturm alias Aussichtsturm? Wissen sie etwas vom Architekten und seiner Zeit? Wollen sie es wissen?
Wie beeindruckt sie ein alter Sakralbau, wenn es doch so viele gibt? Höher, schneller, weiter, präziser sind die Errungenschaften der Gegenwart allemal, möchte man meinen. Wo berührt das Vergangene die Gegenwart?


Während Palladio mit dem Bau seiner San Giorgio beschäftigt war, erschuf in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein anderer Meister, mit Namen Paolo Veronese, ein ähnlich kolossales Werk - das Gastmahl im Hause des Levi, 5,6 x 13,09 Meter, Öl auf Leinwand.
Das Bild wird dominiert von drei riesigen, zierreich gemalten Arkadenbögen, unter denen sich eine wilde Szene abspielt - ursprünglich das Abendmahl, bei Veronese aber zu festlichem Chaos umgestaltet.

Die Dinge wiederholen sich. Die Motive der Gemälde werden immer wieder aufgegriffen, meist sind sie der Bibel oder antiker Mythologie entlehnt. Verkündigungsszenen. Kreuzigungsszenen. Heiligendarstellungen. Heiligenzyklen. Madonnen. Pietà. Sacra Conversazione, Abendmähler, Gastmähler.
Die Architekten taten es nicht anders, als sie anfingen, die Formensprache der Antike wiederaufleben zu lassen. Und selbst die taucht auch bei Veronese im Hintergrund wieder auf.


In der Mitte: Jesus. Um ihn herum: die Jünger und noch ca. 40 andere Personen, die von der Inquisition als „Narren, betrunkene deutsche Landsknechte, Zwerge und ähnliche Skurrilitäten“ betitelt wurden, kurz nachdem das Gemälde fertig gestellt worden war.
Wie auf einer Bühne präsentiert sich die ausgelassene Festmahlsgesellschaft. Trunkene, sich Betrinkende, Diener, Narren, gierig Schauende, Fressende, sich Abwendende, Zerstreute, Feiernde, und ein Hund ganz vorn, bei Jesus.
Kein Wunder, dass der Künstler Probleme mit der Inquisition bekam. Jesus unter solchen Säufern. Und überhaupt – zwischen der ganzen Edelarchitektur und dem Trubel fällt er fast nicht auf.

In der Accademia, wo Veroneses Gastmahl heute hängt, werden täglich Hunderte von Menschen durchgeschleust, Kulturtouristen, die mehr oder weniger andächtig stehen bleiben vor den Tafelbildern gotischer Ikonenmalerei oder den bewegten Szenerien in leuchtenden Farben der Renaissance. Millionen von Menschen reisen hierher, um ein Stück Vergangenheit in sich aufzusaugen. Texte, Mythen, Geschichten, die in unserer heutigen Zeit ihre Macht, ihre Wichtigkeit, ihre Bedeutung verloren haben. („Gott ist nur eine Phase in der Kunst und diese Phase ist vorbei“)
Menschenmassen schauen sich eine in die Jahre gekommene Kunst an. Wo und wie berührt sie eine Darstellung Jesu, wenn sie nicht mehr an ihn glauben? Dass Veronese sich damals vor der Inquisition rechtfertigen musste, an die künstlerische Freiheit appellierte und seinen Anklägern schließlich ein Schnippchen schlug, indem er einfach den Bildtitel änderte – ist das heute nicht nur noch ein nettes Anekdötchen?
Es gilt also, sich auf die Suche nach dem Zeitlosen zu machen. Nach dem, was über die Moden der Epochen, die Eigenheiten der Zeitalter, gültig bleibt. Wenn man heute das Vergangene aufsucht, sucht man mehr als das Vergangene.
Je mehr Wissen man anhäuft über die Kunstwerke, die man betrachtet, umso mehr Zugang findet man. Es ist wie das Lernen einer Sprache. Je mehr Wörter man kennt, umso mehr wird sie einem verständlich, umso mehr Inhalt transportiert sie. Je mehr Symbole, Motive, Figuren man wieder erkennt, je mehr man über die Zeit weiß, aus der das Werk stammt, umso mehr Details erschließen sich, umso mehr sagt einem die Kunst.
Es wäre jedoch fatal, die Kunst darauf zu reduzieren. Das Einordnen, Zuordnen, das Verstehen, ist doch sehr an Zeit und Umfeld gebunden. Außerdem ist es undenkbar, dass Kunst nur mit speziellem Wissen zugänglich sei. Das Zeitlose in der Kunst findet man also nicht, indem man sich Wissen über die Zeit und die Kunst aneignet.


Palladios Schriften über die Baukunst, die „Quattro Libri“, sind einzigartig, suchen noch immer ihresgleichen und haben Jahrhunderte lang die Architektur weltweit geprägt. – Wer von uns weiß das schon? –
Das Geniale an seinem Werk ist eigentlich, dass er zunächst seinen eigenen Ausdruck, seine Sprache fand, indem er Versatzstücke aus der Antike neu zusammensetzte und auf ihren Nutzen für den Menschen hin immer wieder überprüfte. Aus dieser Formensprache leitete er nun eine Art architektonische Linguistik ab. Er stellte Regeln auf, wie eine Grammatik, um die einzelnen Formenelemente rund und stimmig zusammenzufügen. Säulenordnungen, Friese, Fenster, Arkaden, Kuppeln, Tafeln, Skulpturen.
Würde eine Sprache nur aus Worten bestehen, die man willkürlich zusammensetzte, klänge sie recht holprig oder wäre vielleicht gar nicht möglich. Durch die Grammatik bekommt sie Struktur und wird klarer.
Palladio entwickelte seine Grammatik aus genauesten Beobachtungen der Natur und des Menschen, denen er die Maße für allgemeingültige Proportionen und Anordnungen entnahm.

Zurück zu den Touristen auf den warmen glatten Steinen vor der großen weißen Kirche, wenn sie mit Flipflops an den Füßen auf sie zu latschen. Vielleicht fällt ihnen auf, dass das Postament, das sich am Grunde der Fassade standfest entlang zieht, genau dort, wo Kniekehle und Hüfte sitzen, kleine Absätze hat. Aber dies ist unwahrscheinlich. Doch was sich bestimmt einstellt, spätestens, wenn sie die Kirche betreten haben, ist dieses äußerst angenehme Raumgefühl. Ein ganzheitliches Raumgefühl. Alles ist zwar riesig, vielleicht gar klobig, doch passt das eine Element zum anderen, wird hier und dort wieder aufgegriffen, steht für sich, und fügt sich gleichzeitig voll und ganz in die Gesamtkonstruktion ein. Alles ist stimmig.
Liegt das Zeitlose in diesem Gefühl? Einem Gespür? Der Atmosphäre? Der Benjaminschen Aura? Nicht reproduzierbar und nur an Ort und Stelle vor und mit und in dem Kunstwerk erlebbar?
Um das Zeitlose zu finden braucht man Zeit. Zeit, um sich von dem Kunstwerk aufsaugen zu lassen, um sich auf Einzelheiten einzulassen.


Vor einem Leinwandkoloss wie dem Gastmahl im Hause des Levi gibt es so viel mehr zu sehen als die Darstellung einer Bibelszene. Diese war Auftrag und Anlass für die Fertigung des Gemäldes - doch kann man das Motiv vielleicht als eine Art Rahmen für die künstlerische Freiheit in allen Details sehen?
Das, was bleibt, was auch ungläubige Betrachter im hier und jetzt noch berührt, ist der Blick des Künstlers auf den Menschen.
Veronese wurde vielfach eine Leichtigkeit nachgesagt. Und gleichzeitig erkennt man in seinen Menschendarstellungen eine unglaubliche Präzision, eine Beobachtungsgabe, in deren Genauigkeit etwas Liebevolles liegt. In den einzelnen Gesichtern findet sich enorme Lebendigkeit, kleine Geschichten werden über Blicke, Kopf- und Körperhaltungen und Gesichtsausdrücke erzählt.
Die Nähe zum Weltlichen ist das, was Veroneses Werk auszeichnet und bei ihm noch viel stärker hervortritt als bei anderen Renaissancemalern. (Da wäre zum Beispiel Tintorettos Abendmahl zu nennen, das zwar revolutionärerweise Christus und seine Jünger in weltlichen Räumen mit Bediensteten verortet, doch immer noch mit Engeln und Lichteinfall einen starken Fokus auf das biblische Motiv setzt.) In Veroneses Bild sondern sich Christus und seine Jünger dezent ab, durch die wohl durchdachte Bildkomposition, die sie gemeinsam unter der mittleren Arkade vereint ruhen lässt. So sitzt das Sakrale wohl eingebettet in dem Profanen, und zieht das Göttliche hinunter auf die Erde – auch ein Zeichen der Renaissance.

In den warmen, glatten Steinen vor der Kirche: versteinerte Muscheln. Noch älter, noch vergangener - und wer sie entdeckt, ist erstaunt. Die Vergangenheit noch präsenter in dieser uralten Spur, umso gegenwärtiger, umso lebendiger wird die Stadt hier, heute, jetzt.

Dienstag, 10. Juni 2008

Déjà- vu/ Svenja Wolff/ Objektivierungsversuch/ 11.6.08

Déjà- vu

Nan Goldin hat über das Portraitieren einmal gesagt, dass ein Portrait eines Menschen nicht ein einziges Foto sein kann, sondern dass es sich erst aus vielen Bildern derselben Person in unterschiedlichsten Situationen und Lebenslagen zusammensetzt; es wird umso leibhaftiger, je mehr Facetten einer Person widergespiegelt werden.
Wie portraitiert man eine Stadt?

Venedig ist voll von Bildern. Gemälden. Aussichtspunkten. Postkartenansichten. In den malerischen Gassen drängen sich die Souvenirshops aneinander, in denen es eine Fülle an solchem Bildmaterial gibt. Man könnte sich fragen, ob die Touristen, die sich in Massen durch eben diese Gassen schieben, wiederum mehr auf diese Bilder starren als auf die Realkulisse in der sie sich befinden.
Man macht sich ein Bild von Venedig, indem man Bilder rezipiert - und diese verflechtet mit dem, was man sieht, wenn man durch die Gassen läuft.
„Das habe ich doch schon mal gesehen...“ oder „Hier bin ich doch schon mal gewesen...“ schießt einem als Besucher ständig durch den Kopf.
Nicht nur in der Stadt, sondern in der ganzen Welt, findet man Ansichten über die einzigartige Stadt und ihre Einzigartigkeit.
Wenn man auf den Haupttouristenpfaden die Sehenswürdigkeiten abklappert, kommt man nicht umhin, das Gefühl zu haben, das meiste doch schon irgendwoher zu kennen.
Wenn man sich dazu noch für Kunst interessiert, ist einem sicherlich schon einmal das eine oder andere Bild eines Renaissancemalers aus Venedig untergekommen, oder zumindest kann man die Bilder diesem oder jenem Stil zuordnen.
Vielleicht ist ein Teil Venedigs und ihrer Schätze in ein allgemeines (europäisches) kollektives Gedächtnis, einer Art Bilderkanon, eingegangen. Als in Europa aufgewachsener Mensch erlebt man nun dort etwas, was sich in Bildung und Prägung eh schon ins Bewusstsein gesetzt hatte.

Ein ähnliches Déjà-vu-Erlebnis kann jedoch auch abseits der allseits bekannten Venedigkulissen geschehen: auch wenn man sich bewusst von den Hauptattraktionen fernhält, kann es einem in dem Gassenwirrwarr leicht passieren, dass man eine bestimmte Ecke wieder zu erkennen glaubt, (ausgenommen, man ist tatsächlich im Kreis gelaufen). Durch die Wasserbegrenzung bleibt Venedig in ihrer Unüberschaubarkeit eben doch überschaubar.
Durch gegebene Umstände (wie z. B. der hohe Salzgehalt in der Luft) wiederholen sich bestimmte Anblicke: die anmutend romantisch modernden Fassaden scheinen eine Art Markenzeichen der Stadt zu sein.
Eigenartig bleibt doch, dass man gerade in einer Stadt, deren Einzigartigkeit immer wieder betont wird, immer wieder Déjà-vu-Erlebnisse hat.
Vielleicht fallen einem Details vermehrt wegen ihrer Einzigartigkeit auf, da sie in anderen Städten nicht vorhanden sind, sie sich jedoch innerhalb Venedigs immer wieder wiederholen. Regenrinnen an Häusern die man in fast jeder ‚normalen’ Stadt findet, fallen Besuchern sicherlich nicht so frappierend auf wie Venedigs unzählige Treppen, die im Wasser verschwinden, die Shops mit Masken und Glasperlen, die Gondolieri in ihren gestreiften Hemden oder die bewegten Gemälde in leuchtenden Farben mit (sich oft wiederholendem) christlichen Motiv.

Welches Bild bleibt von der Stadt? Woraus setzt sich ihr Portrait zusammen?
Vielleicht fängt man am besten damit an, wie sie sich selbst präsentiert. Obwohl die Stadt voller einzigartiger Motive steckt, gibt es erstaunlicherweise eine Vielzahl an Postkarten in den schon erwähnten Souvenirshops, die sich unnötigerweise der Fotomontage bedienen. Da jagt ein kitschiges Motiv das andere, das kleine DIN A5 Format wird überladen mit städtischer Silhouette, Gondeln, farbenprächtigem Sonnenuntergang und natürlich – Wasser. Ein bisschen zu viel Venedig.
Doch die Montage birgt eine Wahrheit in sich: Venedig wird zusammengestückelt, aus dem, was man wirklich sieht, was man sehen will, und was man schon gesehen hat.
So viel Kunst, so viel Kunstvolles und Künstliches auch im Alltäglichen auf so dichtem Raum hinterlässt zwangsläufig einen ähnlichen Eindruck wie eine Fotomontage: beeindruckend, doch irgendwie nicht ganz echt. Das kann doch gar nicht sein.
Es vermischen sich Reproduktionen mit eigenen Rezeptionen.
Je mehr Bilder dazukommen, umso klarer müsste Venedig in ihren verschiedenen Facetten, in ihrem Wesen sichtbar werden, doch paradoxerweise wird durch die Fülle an Bildern eher an ihrer Echtheit gerüttelt, oder vielmehr: sie scheint ungreifbar, unbegreiflich.

Donnerstag, 15. Mai 2008

Bildbeschreibung/ Svenja Wolff/ Frari- triptychon Teil 1

Bildbeschreibung eines Ausschnittes des Fari- Triptychons von Giovanni Bellini

Das äußerste Achtel der Sacra Conversazione ist bestimmt von dem reich verzierten Rahmen. Vom Fundament aus wird das Gemälde am linken Bildrand von einem mit Ornamenten versehenen Pilaster und korinthischem Kapitell begrenzt; in das darüber gesetzte Gebälk ist ein Fries mit Blumenornamenten und ein Gesicht eingearbeitet, welches von einer fackelähnlichen Verzierung gekrönt ist.

Am oberen linken Rand des Gemäldes ist durch Licht und Schatten eine räumliche Flucht auszumachen; deutlich wird diese Räumlichkeit durch einen Pfeiler, der zwar schlichter, aber stark dem Rahmenpfeiler nachempfunden ist. Während der Bildrahmen golden oder bronzefarben scheint, ist der Pfeiler im Gemälde von hellem ocker. Der unverzierte glatte Pfeiler wird zum großen Teil verdeckt von dem faltigen dunkelgrünen Umhang eines Heiligen.

Zwischen dem gemalten Pfeiler und dem plastisch herausgearbeiteten Rahmen kann der Betrachter einen Blick in die Weite erhaschen: in einem dünnen Streifen deuten sich ein tiefblauer Himmel, weiße Quellwolken und eine teils felsige, teils grüne Landschaft an.

Ultramarinblau/ Svenja Wolff/ Ultramarinblau

Ultramarinblau. Als müsste die Farbe ihre Kraft betonen. Ultra – stark. Als müsste sie beweisen, dass sie mehr leuchtet als andere. heller. tiefer. klarer. Es ist, als protze sie, so wie die Waschmittel in der Werbung. Alles Mega und Ultra.
Ultramarinblau. Als würde die Farbe das größte blaue etwas bestimmen, das auf der Wlet zu finden ist (obwohl das Meer ja gar nicht blau ist, sondern nur das noch größere Blau des Himmels reflektiert).
Kann man eine Farbe arrogant nennen?
Wie sieht eine arrogante Farbe aus?

Drehen wir das ganze einmal um. Diese kläglichen Benennungen – ultra, marin – sind wieder einmal nur die unzulänglichen Versuche der Menschheit, das, was gesehen wird, in Sprache umzuformen, womit sie sich selbst zum scheitern verurteilt hat, denn niemals wird das Werkzeug Sprache eine Sache an sich ergreifen können. Die menschliche Sprach bleibt Versuchsreihe.
Und damit bleibt auch Ultramarinblau ein Opfer unserer Versuche, Opfer meines Versuchs hier und jetzt, ihr mit Worten gerecht zu werden.

Anstatt an Lapislazuli zu denken oder an andere umwerfen leuchtende Dinge, denke ich Dank meiner Sozialisation an Waschmittel und an den teil des deutschen Militärs, der auf dem Wasser stationiert ist.
Eine glatte Fehlbenennung einer Farbe?
Oder eine glatte Fehlsozialisierung?

Festzuhalten bleibt: es ist ein eigenartiger Name für eine eigenartige Farbe.

Stadtgerüst/ Svenja Wolff/ Der Fisch

Auf der Karte sieht Venedig aus wie ein Fisch. Ein steinerner Fisch in der Lagune. Sein Auge ist der Bahnhof, an ihm vorbei schlängelt sich der Canal Grande, durch den gesamten Fischkörper, um schließlich an der unteren Flosse ins Bacino de S. Marco zu münden.

Der Kanal ist die Hauptader, von der aus sich ein kapillarenartiges Netz aus Wasserarmen ausbreitet und die Stadt in kleine Häuserblockmassive zerteilt. Darüber spannt sich ein ebenso verworrenes Netz aus kleinen Gassen und Brücken, vierhundert an der Zahl; sie überwinden die Wasseradern und machen eine Durchquerung auch ohne Boot möglich.

Verlassen wir die Zweidimensionalität der Karte und stellen uns vor, mitten im Fischbauch, im Zentrum der Stadt, zu stehen, so tun sich in der Vertikalen ebenso Ebenen auf. Das Fundament aus Holzpfählen, von Wasser umsäumt, lässt den Bau von Kellern nicht zu. Dann das Straßen- und Brückennetzwerk, dem die Kanäle, außer bei Hochwasser, erliegen. Die mehrstöckigen Häuser, dicht aneinander gedrängt, halten die Straßen so klein und eng wie möglich. Auf ihren Dächern schließlich, thronen überall Terrassen, klein, verwinkelt, versteckt, die einen, wenn man denn Zugang hat, zumindest zeitweilen der Enge der Gassen entkommen lassen. Dies tun nicht zuletzt auch die Campos, die Piazza und andere Plätze, die in der Enge wieder Weite schaffen, so wie das Wasser, in dem der steinerne Fisch seit Jahrhunderten liegt.

Samragdgrün/ Svenja Wolff/ Smaragdgrün

Smaragdgrün -
in ein Gestein eingeschlossen, in der Erde verborgen, schon ewig dort gewesen. Bis die Menschen sie sich zueigen machen wollten, sie ausbuddelten aus der Tiefe und sie, ihn Form von glitzerndem Schmuck, mit Edel, Adel und Kostbarkeit verbanden. Smaragdgrün.

In der Tat hat es etwas Anmutendes. Doch das rührt nicht von der Kostbarkeit des Gesteins her, sondern von seiner Zeitlosigkeit. Smaragdgrün folgt einem anderen Rhythmus als das Grün der Blätter. Es ist uralt und überdauert uns. Das Wissen darum scheint es uns entgegenzustrahlen, aus der Tiefe des Gesteins, rührt es etwas in uns: ungreifbar, unerreichbar und doch immer da.

Vorstellung/ Svenja Wolff/ Erste Assoziationen

Das erste, was mir in den Sinn kommt, wenn ich an Venedig denke, ist Wasser. Das ist wohl nicht so weit her geholt. Ich denke an moosig grünes Wasser, an Nebel und an Pfützen.

Ich habe diese vage Kindheitserinnerung. Als ich ungefähr 6 Jahre alt war, machten meine Eltern mit mir und meinen Schwestern von Österreich aus einen Tagesausflug nach Venedig. Wir sind Gondel gefahren. Ich sehe noch vor mir, wie die Gemäuer, dort, wo sie in den engen Gassen auf das Wasser trafen, Moos ansetzten.

Das zweite, was mir lebhaft in Erinnerung ist, ist eine riesige Piazza mit den größten Pfützen, die ich je gesehen hatte, und Unmengen von Tauben. Was gäbe es Spannenderes für ein sechsjähriges Kind! Meine Schwestern und ich sprangen durch die kleinen Seen, spritzten herum und jagten grau gefiederte Schwärme, die sich kaum bequemten, hinfort zu fliegen.

Das letzte, was mir in Erinnerung geblieben ist, steht heute noch im Hause meiner Eltern auf einem Regal, ganz oben, ganz verstaubt. Es handelt sich um die damaligen Objekte unserer Begierde, die unsere Eltern uns nach einigem Quengeln gütigerweise kauften: kleine bunte Tierchen aus Glas. Ich hatte 7 kleine Kraken, eine ist auf der Heimreise kaputt gegangen.
Dies ist mein persönliches Bild von Venedig. Ein verblasstes, löcheriges und doch zauberhaftes.

Andere Menschen hörte ich meistens folgendes über Venedig sagen: Dass die Gondelfahrten unbezahlbar teuer geworden sind. Dass die Stadt irgendwann im Meer versinken wird. Dass sie märchenhaft schön ist, doch wenn man genauer hinschaue, sei sie ganz schön gammelig. Entspricht das dem allgemeinen Bild von Venedig? Ich hoffe nicht.

Was ich mir heute vorstelle, wenn ich an Venedig denke - meine Wunschvorstellung gewissermaßen - sind enge Gassen, in denen man verloren geht und in denen man an jeder Ecke auf etwas Unverhofftes stoßen kann. Auf kleine altertümliche Schätze -alte Fresken oder Reliefs in den Gemäuern zum Beispiel, oder ein altes Weib, das vor seiner Haustür sitzt und den Morgen genießt, verwitternde Skulpturen oder eine von außen kaum ersichtliche Kapelle. Alles ist ein bisschen abgenutzt. Ich stelle mir kleine Cafes vor, mit rotweiß karierten Tischdecken und gutem Espresso. Boote und Gondeln, und wie ich die Füße vom Kai aus ins Wasser baumeln lassen kann. Doch je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr komme ich mir wie ein romantisierender Tourist vor, umso ferner wird mir die Stadt.

Die Kunst? Wo bleibt die Kunst in meiner Vorstellung? Noch ist sie kaum existent, denn als Kind habe ich sie nicht wahrgenommen. Mir kommen byzantinische Mosaike in den Kopf, kolossale Renaissancebauten, riesige Basilika, mit orientalischen Einflüssen. Malereien mit Fluchtpunktperspekive, Säle und Tempel, akribische Stofflichkeit im Faltenwurf der Gewänder anmutender Gestalten.

Die Gemälde und Bauten - ich kenne sie nur aus Büchern; sie lassen in mir ein Bild von längst vergangenem Reichtum und Blüte entstehen, die auch heute noch glänzen und schimmern, in einer ansonsten moosig grünen, abgenutzten, alten Stadt.