Ein Text über Räume, Zwischenräume, Nicht-Räume, Tankstellen, Sprachen und Venedig.
Unterwegs nach Italien, nach Venedig.
Ab Anfang der letzten Maiwoche machen sich achtzehn Studentinnen und Studenten aus einer niedersächsischen Kleinstadt auf nach Norditalien./ Renaissance./ Kirchen./ Marien./ Die Flüge sind individuell gebucht und verdammt billig.//
Wir reisen per Anhalterin. Ich mag Dinge, die scheinbar nicht zusammenpassen wollen./ Würde ich fliegen käme ich mir gänzlich wie eine andere vor während dieser Tage.//
Eigenartiger Dämmer-Döse-Zustand irgendwo zwischen Wachen und Schlafen.
Das Auto fährt.
Neben der Autobahn türmen sich die grünen Bäume in langen Linien./ Radio; Werbung:
Was ist so breit wie meine Mama, so scharf wie meine Ex und so billig wie meine Witze?/
Ist ein Flachbildschirmfernseher.
- …
dämmere ganz gerne.//
Tankstelle./ Aussteigen/ Vielen Dank/ gute Fahrt noch/ Gepäck abstellen/ erstmal sitzen/ erstmal Toilette/ unter der Sperre durch ist Pinkeln umsonst/ erstmal Kaffee holen, ist und bleibt die größte Reiseinvestition/ erstmal rauchen./ Dann: weiter. Suchen/ fragen./ Zwischen weg und da an Orten, die überall sein könnten, weil sie überall gleich aussehen.//
Es ist schwül, der Himmel ist nicht himmelblau sondern ist blassblau bis blaugrau/ getrübt wie durch eine Milchglasscheibe denn der Wind bringt Wüstensand mit./ Sind Himmel manchmal ultramarinblau?/
Ultra mare/ = über dem Meer/ dort also vielleicht hängt das Ultramarinblau./ Wie gut lassen sich Farben pflücken?/ Himmelblass/ das Blau, das Ultra mare heißt/
Ist auch nicht leicht aus dem Kanalgewirr zu fischen/ dann, in Venedig/ Meer flutet bis zwischen die Häuser/ bringt ein Stück vom Ultra mare/ nicht viel/ reicht aber für die Mäntel der Madonnen/ die ganze Renaissance lang/ist doch schon mal was.//
Eine wunderschöne Sommernacht erwartet uns./…lauter Poesie aus dem Radio-Wetter-Bericht. Und diese Nacht können wir Poesie ganz gut gebrauchen.//
20.16 Uhr./
Wir fahren mit einem Österreicher nach Salzburg, dann geht der Weg weiter über Villach nach Venedig.
Ich war noch nie in Italien./
Plötzlich fahren wir den Bergen entgegen/ bleiche Schattenrisse in der Ferne/ Pappkulissen./
Bis Salzburg sind es noch 77 km.
Irgendwas an den Bergen ist schön./ schwierig Worte zu finden, dafür/ später ist auch an Venedig irgendwas schön./ Die Berge ziehen sich durch die Landschaft, sortieren alles, bilden Grenzen zwischen der einen und der anderen Seite. Können einsperren.//
Sind wir schon in Österreich?/
„So lange Sie noch Zwiebeltürme sehen, sind wir in Bayern.“/
Aber es gibt überhaupt keine Garantie:
So lange Sie hellen Sandstein, ornamentale Fensterbögen sehen, kleine Zinnen oben am Gebäuderand, sind wir im Orient.
- Wir sind aber in Venedig./
So lange Sie Paläste wie diesen sehen, mit einer Tür direkt zum Tempel, so lange sind wir bei König Salomo.
- Das ist aber nicht Salomos Palast, sondern der Dogenpalast. Das ist kein Tempel, das ist die Markuskirche./
Sind wir schon in Österreich?
Für mich hat das Andere schon begonnen, auch ohne überschrittene Grenze. Beginnt jeden Augenblick./
Was sind denn Grenzen?//
Später die gleiche Frage: Wo beginnt Venedig?/ Venedig heißen/ Venedig sein/ Was ist was?//
„Scusi…direzione Venezia?“/
Der erste Morgen in Italien:
Um 4.30 Uhr erwacht die Tankstelle; die LKWs lassen ihre Motoren an/ vor den bleichblauen Bergen: matte Sonnenscheibe, die neben dem Autogrill auf der gegenüberliegenden Straßenseite aufgeht/ PKWs halten kurz vor unseren Füßen/ die sind noch in den Schlafsäcken//
5.00 Uhr./
Rossella kommt und beginnt im Autogrill direkt hinter unser Unmenegen von Croissants aufzubacken/ Tür bleibt zu/ noch kein Kaffee./ Wir rennen zum Aufwachen einmal um die Tankstelle//
Punkt 6 Uhr öffnet sich die Türe/ Entrata/ zu dem süß duftenden Backwerk und mit uns steht gleich eine ganze Reihe italienischer Arbeiter und LKW-Fahrer bei Rossella an der Theke/ für einen Kaffee/
Kaffee ist hier Espresso: sehr schwarz, sehr stark, sehr klein./ Fingerhutgroße Tassen, zur Hälfte gefüllt./ Und ich frage mich, ob sich im Charakter des Kaffees auch ein Stück Lebensart widerspiegelt oder umgekehrt: Ob der Kaffee die Einstellung zum Leben verändert?/ Dieser Kaffee hat etwas von einem Konzentrat./
Für alle ist es früh./ Alle: unterwegs zur Arbeit./ Aber die Stimmung ist gut/ wach/ (vielleicht macht das der Espresso)/ Bon giorno!/ aber keine Plätze haben die Autos für uns.//
Was heißt: „Fahren Sie nach…?“/ Gibt es hier in der Nähe einen Bahnhof und wo sind wir überhaupt genau? Nördlich oder südlich von Udine?/
Wir entschließen uns, die freundliche Rossella um Rat zu fragen. Rossella spricht auch Englisch. Sie ist teil dieses Zwischenraumes Tankstelle. Der Ort ist und Nicht-Ort, für uns kleiner norditalienischer Kosmos. Sie ist Teil des Raumes, der zwischen den Sprachen liegt, zwischen unserem unbeholfenen „scusi“ und dem schwungvollen Italienisch, das uns umgibt./
Rossella rät uns ein Taxi zu nehmen.//
Und plötzlich geht es ganz schnell und einfach: Ein Italiener mit großem ledergepolsterten Auto, madonnenmantelblaugetönter Sonnenbrille, Deutsch- und Englisch-Sprachkenntnissen, nimmt uns mit nach Venezia./ Radio:
Wir staunen über die rasante Geschwindigkeit dieser Sprache/
Empfang wird schlecht/ Rauschen/ klick/ aus/ klack/ ein/ CD: Eros Ramazotti./
Das erscheint mir etwas zu klischeehaft.//
Mittlerweile ist das Land wieder flach/ lassen die letzten Schattenrisse der Berge hinter uns./ Flach/ Felder, Wiesen, Wein/ Fabriken./ Im Norden Italiens ist die Industrie zuhause.//
Hinter der Madonnenbrille verbirgt sich ein Held unserer Zeit./ Kämpfer für Recht und Ordnung/ Schützer des Staates/ Mutig gegen die Mafia/ Position ermächtigt zur Personalienkontrolle/ Macht gegen Migration/
Das ist ein großes Problem in Italien./ Die Migration./ Die Rumänen, besonders./ Gehören jetzt ja auch zur EU./
Unsere Mitfahrgelegenheit ist Terrorbeauftragter am venezianischen Flughafen, zuständig für die Personenkontrolle./ Fast ist es also wie in der Renaissance geblieben./ Nur, dass weder Venedig, noch Italien Himmel ist für Ankommende./ Nur, dass die Pförtner heute selten Petrus heißen.//
8.00 Uhr morgens, Stadtrand, venezianisches Festland./
Stehe in dem kühl wirkenden Tankstellen-Café mit den roten Stühlen und den bunten Plastikblumen auf den Tischen./ Il Gazettino liegt auf einem der Tische/ Rissa tra studenti di sinistra e Forza Nuova – 4 feriti e 6 arresti dopo il raid „Sapienza“/ linke Studenten/ Schlägerei, Verletzte/ Festnahmen/ L’assembla degli studenti universitari dopo l’aggressione da parte di un gruppo di destra/ Rechte Studenten in Rom./
Vor einigen Tagen habe ich eine E-Mail bekommen: Pogrome gegen Roma in Norditalien/ daran denke ich. Und an/ die unglaubliche Greuel-Geschichte über eine junge Frau, angebliche „Zigeunerin“/ stahl angeblich ein Kind, ein italienisches, kein Zigeuner-Kind./
Die Menschen aus einem norditalienischen Dorf zünden die Hütten der dort lebenden Roma an./ Das ist nicht nur eine Geschichte./ Alles brennt nieder./
Nelle ex caserne i nuovi centri per gli immigranti/
Migration ist ein Problem in Italien. Sagt der Held mit der Madonnenbrille. Sagt Il Gazzettino, die Zeitung. Sagen die Zeitungen. Nicht nur in Italien, auch in Österreich, auch in Deutschland./
Was ist denn Migration? Was ist das Problem?
I kommt aus Chemnitz, ich aus Heilbronn. Ost und Süd und beide wohnen wir in Mitte/ Norden/ Binnenmigration.//
Ich denke an die Freunde, die ich im letzten Sommer in Rumänien gefunden habe./ J und C in Craiova/ hässliche, arme Industriestadt/ C’s Vater arbeitet, lebt/ Halbzeit/ in Italien: da gibt es Arbeit und deshalb Geld./ Transmigration/
Centri per gli immgranti clandestini//
13.00 Uhr./
Wir sitzen am Rande der Fabriken Porto Margheras./ „Es ist warm, es ist laut, es ist dreckig“, sagt I./
Außerdem ist Mittagspause oder Schichtwechsel. An der Frittenbude sind die Fritten aus und unsere Mägen bleiben leer, denn das Wort vegetarisch ist hier pure Exotik./
Zu Mittag soll es satt und kräftig machen. Es gibt Fleisch. Traditionelles mit Fast-Food-Einschlag oder Fast Food mit traditioneller Note. Dazu Bier./
Und dann Kaffee und Zigaretten, aber die gibt es sowieso für alle Pausen. Das ist hier nicht anders als irgendwo sonst/ Zwischenraum: Pause./ Kenne ich selbst./
Nur: Hier fühle ich mich: Allein unter Männern./
Sie sind alt und jung und zwischendrin. Sie tragen Sicherheitsschuhe an den Füßen und Handschuhe in den Hosentaschen und gelbe Helme am Gürtel./ I meint: „Diese Helme faszinieren mich irgendwie.“/ Manche tragen Blaumänner/ (sollten die in Venedig nicht lieber Blaumadonnen heißen?)/ andere nicht. Zwei fallen mir auf, weil sie Blaumänner tragen, die keine sind, denn sie sind weiß./
Weißmänner?//
Die Giftfabriken von Porto Marghera./
Wir laufen über das Industriegelände, Richtung Hafen, auf dem Rücken das Gepäck, im Nacken die schwüle Hitze, ab und zu ein Windhauch./ „Grüß Gott!“/ kommt unvermittelt aus einem Fabriktor/stehen bleiben/ sprechen/ zuhören/ wieder einer zwischen den Räumen/ arbeitet nicht hier/ transportiert nur, zwischen hier und Österreich/ Schöne Stadt Venezia, nicht?//
16.15 Uhr./
Venedig, Mestre, nahe der Piazzale Candiani. Nach dem Markt/
Nicht nur die Blätter und weißen Schneeblüten flattern über den Platz sondern auch Plastiktüten, Papier, verloren gegangene Einkaufszettel und Gedanken/
„Ob das die sind, die zu oft schwarz gefahren sind?“, fragt I, selbst schon zur Schwarzfahrerin in Venedig geworden, als ein Trupp von Stadtreinigern in neongelben Westen eintrifft und auf dem Platz ausschwärmt./ Keine Laubblasgeräte. Hier wird, ganz romantisch, mit Reisigbesen gefegt./ Wir picknicken italienische Köstlichkeiten und sehen uns eine Photoausstellung an./ 60er Jahre in Schwarz-Weiß. Es gibt ein paar Hinweistafeln aber nur auf Italienisch und so bleibt die Geschichte Mestres nebulös./ Soviel aber ist sichtbar: Kinder, Arbeiter, Kommunisten./
Auf der Piazzale Candiani fangen zwei Jugendliche an, Break Dance zu üben. Etwa eine Stunde lang fangen sie damit an. Machen Aufwärmübungen. Hören damit auf, reden. Sie trägt ein verwaschenes T-Shirt und eine weite Hose und lange Zöpfe und fasziniert mich. Ihr Telefon klingelt, er bekommt eine Zuschauerin, blond gelockt und rausgeputzt, die eine Weile dasteht und schaut und nicht weiß, was sie mit ihren Händen anfangen soll und deplaziert aussieht. Und schließlich wieder geht. Jedenfalls kommen sie nicht wirklich zum Tanzen und überhaupt wirkt alles so ein bisschen schwierig und kompliziert./
Wir stehen im offenen Treppenhaus über der Piazzale und schauen den beiden zu. Und schauen und schauen und denken uns ihre Geschichte aus und sind ganz gefesselt./ Es dauert lange, bis wir uns auf den Weg zum Bus machen./ Jetzt kommt Venedig, die Insel.//
Freitag, 20. Juni 2008
Hanna/neuer endgültiger Text/Juni'08
mein neuer text handelt von menschen in venedig im allgemeinen - er nimmt auch bezug auf meine markusplatz-mosaike und andere bilder, die ich ausstellen möchte
Menschen Venedigs - Einheimische vs. Touristen?
Venedig – das ist nicht nur das Wasser der Lagune, das die Pfahl- & Steinmasse zärtlich umspült. Eine eifersüchtige, zermürbende Zärtlichkeit, die dem Objekt seiner Begierde langsam den Boden unter den Füßen entzieht.
Venedig – das sind auch die Menschen: Menschen, die hier geboren sind, & andere, die später nach Venedig finden. Menschen, die hier leben, Menschen, die hier Urlaub machen, Menschen auf Stippvisite. Menschen, die geschäftlich hier sind: Business-Typen. Oder Künstler: Schriftsteller, Schauspieler, Maler & Musiker, die sich von ihrer Liebe zu dieser Stadt inspirieren lassen. Hier atmet Kultur aus jeder Mauer, von der der Putz langsam abbröckelt & die dadurch umso liebenswerter erscheint. Privilegierte Menschen, die eine neue Wahlheimat gefunden haben und einen Teil des Jahres, des Lebens hier verbringen dürfen.
Andere bleiben nur kurz & verlassen die Stadt mit Wehmut – Touristen.
Sie kommen mit dem Auto, dem Bus, dem Zug, dem Flugzeug oder über das Meer – in einer eigenen Yacht, einem Segelboot, oder per Kreuzfahrtschiff: Venedig als kurzfristige Station einer Reise, auf der sich die Eindrücke zu vieler Städte in zu schneller Abfolge miteinander kreuzen – das klingt nach Blasphemie, Verrat an der „Serenissima“, der allerdurchlauchtigsten aller Städte.
Italo Calvino sagte: „Jedesmal, wenn ich dir eine Stadt beschreibe, sage ich etwas über Venedig... Um die Eigenschaften der anderen zu unterscheiden, muß ich von einer ersten Stadt ausgehen, die inbegriffen ist.“
Venedig als Ur-Stadt? Venedig als Pracht, an der sich, wenn man sie einmal erfahren hat, alle anderen Städte messen müssen. Eine undankbare Rolle für die meisten anderen Städte.
Eine Pracht, von der man aber auch Erholung braucht. Venedig ist zu schön um wahr zu sein & schmerzt gelegentlich.
Leidenschaft ist es, die viele Menschen nach Venedig zieht, & wenn man sie vorher nicht gefühlt hat, dann erfährt man sie hier.
So viele Menschen. Aus allen Ländern, von allen Kontinenten. Alle Alter, alle Hautfarben, alle Kombinationen: Allein-Reisende, Paare, Familien, Gruppen: Schulgruppen, Seniorengruppen, andere Gruppen.
Zu viele Menschen. Manchmal denke ich sie mir weg. Wünsche mir, diese Gasse, diesen Platz für mich alleine zu haben. Wünsche mir, diese Stadt zu kennen, wie meine Westentasche: jede Calle, jede Ponte, jeden Campo. Frage mich – wie wäre es, hier geboren zu sein?
Wie ist es, hier geboren zu sein? Die Eingeborenen sind auf der Straße schwer auszumachen. Aber diese alte Frau, die von einer andere Frau über die Brücken geführt wird – die wird doch hier geboren sein? Oder dieser alte Mann, den eine Frau durch die Gassen von Guidecca schiebt – der lebte schon immer hier, und wird hier auch sterben? Und diese beiden Männer, die sich in einer engen Gasse freundlich im Vorbeigehen grüßen und im Weitergehen die Neuigkeiten des Tages austauschen, die haben früher schon als Kinder zusammen auf dem Campo San Polo Fußball gespielt?
Der alte Mann, mit dem ich mich auf der Bootshaltestelle von San Erasmo unterhielt, erzählte mir: Ich war Gondoliere. Ja, ich bin hier geboren. Jetzt sind meine beiden Söhne auch Gondolieri.
Ein alter Berufsstand, den es nur in Venedig gibt. Neue Lizenzen werden nicht vergeben, erzählt ein Tourist vor der Seufzerbrücke seiner Frau, der Beruf wird weiter vererbt. Wo gibt es denn sowas noch? Wie kann man eine Stadt, die viele solcher Eigentümlichkeiten beherbergt, überhaupt mit anderen Städten vergleichen? Ich kann es nicht.
Die Einwohner schwinden, nicht jeder kann Gondoliere sein, und soviel andere Arbeit gibt es hier nicht. Genau so wenig sind alle, die hier arbeiten, Einheimische. Allen voran die Schwarzen, die in überfüllten Booten über das Meer nach Italien kamen, illegal, und nun aus Plastiksäcken heraus Plagiat-Handtaschen verkaufen, illegal. Aufgereiht stehen sie vor allem an der Riva degli Schiavoni, Uferpromenade zwischen Markusplatz & den Giardini, das billige Angebot ausgebreitet auf Plastikplanen, die bei Gefahr, schnell an allen vier Ecken genommen, zum Sack werden und die Hehlerware verbergen. Wenn der erste in der Reihe hört, dass Ordnungsbeamte nahen, packt die ganze Reihe eilig ein, flieht & sucht sich einen neuen Platz.
Wie fühlt sich einer, der in Venedig geboren ist & dann wegziehen muss? (Ein Luxusproblem? Venedig ist ein Luxus, auf den man nicht mehr verzichten kann ...) Schlimmstenfalls nach Mestre, der hässlichen Schwester der schönen Stadt, die gleich gegenüber am Festland liegt. Wo Industrieschornsteine statt Kirchtürme in den Himmel ragen & wo man in Mietskasernen lebt statt in Palazzi. So nah an Venedig, zum Greifen nah & doch weltenweit entfernt.
Wie fühlt man sich als Eingeborener Venedigs, wenn man in den Gassen der Stadt nur Fremden begegnet? Die wie eine Invasion vom Himmel fallen oder über das Meer kommen. Ein Heer, eine Streitmacht, die Anspüche auf Venedig erhebt: hier, ich habe diese Reise gekauft, & jetzt will ich auch ein Stück von Venedig haben. Aber wenn Tausende ein Stück wollen, und wenn es allen so gut schmeckt, dass sie ein zweites und drittes Stück nehmen, was bleibt dann noch übrig?
Reservate für Eingeborene, entlegene Stadtteile, Gassenzüge ohne Frari-Kirche oder Rialtobrücke, in denen Eingeborene Caffè trinken, & garantiert keinen Caffè Americano. Da sitzen sie an einer unspektakulären & dennoch schönen Fondamente, irgendwo in Cannaregio, kauen an ihren Fingernägeln, jenseits der Anderen, die durch ihre Objektive ein Motiv nach dem anderen erlegen.
Und wenn sie raus wollen aus ihrem Stadtteil? Bleibt ihnen die Linie 3, für Touristen verboten, die daran erinnert werden: die Stadt ist nicht ganz in euer Hand & unter euren Füßen.
Oder die, die hier Arbeit gefunden haben, schwere Wagen vor sich her schieben, über eine Brücke nach der anderen, schaffen sich durch energische Warnrufe einen Weg durch schlendernde Touristen.
Rolling Venice – eine Gesamtattraktion wie Venedig muss am Laufen gehalten werden. Alles was da ist, für Hotels, Geschäfte, Einheimische & Touristen, muss hierher gebracht & verteilt werden, ohne LKWs. Und so sieht man auf den Kanälen nicht nur schwarze Gondeln, die Touristen tragen, sondern ebenso viele Motor- & Lastboote. Die einen bringen eine neue Waschmachine, in einem anderen macht sich ein junges Paar auf zu einem Ausflug auf eine ruhigere Insel der Lagune, die Erholung verspricht von der Mutterinsel. Eine Löwenmutter, die die anderen Inseln schützend unter ihre Flügeln nimmt, & sie gleichzeitig von dem eigenen Glanz abschirmt. Eine prächtige Löwin, aber ohne feste Pranken, ohne Bodenhaftung, und auch die Schwingen sind nicht flugtauglich.
Tiere Venedigs – Kühe, Hühner, Schweine gibt es nur auf dem Teller. Löwen nur in Stein & Legenden. Pferde nicht mal in Standbildern. Tauben gibt es, unzählige, vor allem auf dem Markusplatz. Möwen gibt es, denn dies ist eine Stadt am Meer, wenn auch nur indirekt. Katzen gibt es nur wenige. Wenn, dann wurden sie systematisch kastriert oder auf anderen Inseln ausgesetzt. Hunde gibt es, überwiegend kleinere Rassen, aber keine Dackel, denn die können nicht gut Brücken steigen. Hunde, die Kot hinterlassen – vom verantwortungsvollen Halter im Plastikbeutel mitgenommen, vom wenigstens beschämten mit einem Stück Zeitung überdeckt und umso tückischer, wenn man ahnungslos drauf tritt. Ab der Dämmerung gibt es auch Fledermäuse, deren Schwingen & Schwirren man zwischen den eng zusammenstehenden Gebäuden vibrierend vernehmen kann, wie ich mir des öfteren einbildete.
Zurück zu den Menschen - Menschen Venedigs: Einheimische vs. Touristen? Es tun sich zwei Parallelwelten auf, habe ich gehört. Und man erfährt es auch, etwa wenn man zu einem gehobenen Preis einkauft, oder eben, wenn einem die Fahrt mit der Linie 3 verwehrt wird.
Venedigs Menschen – das sind nicht nur die Menschen von heute, die von morgen, die übermorgen wieder abreisen – das sind auch die Menschen von gestern. Ganz gestern, Menschen aus längst vergangenen Epochen. Menschen, die die Gemälde Canalettos bevölkern – Menschen mit anderem Erscheinungsbild, anderem Zeitgefühl, anderen Möglichkeiten.
Imaginierte Menschen: Don Juan oder Gustav von Aschenbach, der den Tod in Venedig fand.
„Menschen“, die nie in Venedig waren, aber omnipräsent sind: heilige Menschen, allen voran Maria & das Jesuskind, in den Gemälden Bellinis oder Tizians.
Dogen, die die Macht Venedigs verkörperten. Händler, die den Orient ins Abendland brachten. Weltreisende, die es aus Venedig raus trieb um es mit anderen Städten und Ländern zu vergleichen – Marco Polo. Adlige, die sich Paläste am Canal Grande bauten.
Und andere Namen, die ewig bleiben: Gabrieli, Monteverdi, Vivaldi – Menschen, die Venedig & all seine Pracht vertont haben – auch wer Venedig nie gesehen hat, kann seine Schönheit in einem Violinkonzert oder einer Oper dieser Meister nachempfinden.
Menschen Venedigs – Einheimische vs. Touristen? Nein, auf den Gassen & Kanälen Venedigs herrscht kein Krieg. Hier fliegen keine bösen Blicke wie Pfeile durch die Luft. Es ist kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander, mindestens ein Nebeneinander - man braucht sich.
Hier & da lächelt ein Venezianer einem Fremden müde hinterher, nicht verachtend, sondern bedauernd: ich lebe hier, doch du bist morgen wieder fort ... arme Seele ... doch nimm dir ruhig ein Stückchen meiner Stadt mit, denn ich kann all diese Pracht unmöglich allein (er)tragen.
Und überhaupt, das spürt hier auch der Ungläubige: was Gott gegeben hat, das soll man teilen.
Menschen Venedigs - Einheimische vs. Touristen?
Venedig – das ist nicht nur das Wasser der Lagune, das die Pfahl- & Steinmasse zärtlich umspült. Eine eifersüchtige, zermürbende Zärtlichkeit, die dem Objekt seiner Begierde langsam den Boden unter den Füßen entzieht.
Venedig – das sind auch die Menschen: Menschen, die hier geboren sind, & andere, die später nach Venedig finden. Menschen, die hier leben, Menschen, die hier Urlaub machen, Menschen auf Stippvisite. Menschen, die geschäftlich hier sind: Business-Typen. Oder Künstler: Schriftsteller, Schauspieler, Maler & Musiker, die sich von ihrer Liebe zu dieser Stadt inspirieren lassen. Hier atmet Kultur aus jeder Mauer, von der der Putz langsam abbröckelt & die dadurch umso liebenswerter erscheint. Privilegierte Menschen, die eine neue Wahlheimat gefunden haben und einen Teil des Jahres, des Lebens hier verbringen dürfen.
Andere bleiben nur kurz & verlassen die Stadt mit Wehmut – Touristen.
Sie kommen mit dem Auto, dem Bus, dem Zug, dem Flugzeug oder über das Meer – in einer eigenen Yacht, einem Segelboot, oder per Kreuzfahrtschiff: Venedig als kurzfristige Station einer Reise, auf der sich die Eindrücke zu vieler Städte in zu schneller Abfolge miteinander kreuzen – das klingt nach Blasphemie, Verrat an der „Serenissima“, der allerdurchlauchtigsten aller Städte.
Italo Calvino sagte: „Jedesmal, wenn ich dir eine Stadt beschreibe, sage ich etwas über Venedig... Um die Eigenschaften der anderen zu unterscheiden, muß ich von einer ersten Stadt ausgehen, die inbegriffen ist.“
Venedig als Ur-Stadt? Venedig als Pracht, an der sich, wenn man sie einmal erfahren hat, alle anderen Städte messen müssen. Eine undankbare Rolle für die meisten anderen Städte.
Eine Pracht, von der man aber auch Erholung braucht. Venedig ist zu schön um wahr zu sein & schmerzt gelegentlich.
Leidenschaft ist es, die viele Menschen nach Venedig zieht, & wenn man sie vorher nicht gefühlt hat, dann erfährt man sie hier.
So viele Menschen. Aus allen Ländern, von allen Kontinenten. Alle Alter, alle Hautfarben, alle Kombinationen: Allein-Reisende, Paare, Familien, Gruppen: Schulgruppen, Seniorengruppen, andere Gruppen.
Zu viele Menschen. Manchmal denke ich sie mir weg. Wünsche mir, diese Gasse, diesen Platz für mich alleine zu haben. Wünsche mir, diese Stadt zu kennen, wie meine Westentasche: jede Calle, jede Ponte, jeden Campo. Frage mich – wie wäre es, hier geboren zu sein?
Wie ist es, hier geboren zu sein? Die Eingeborenen sind auf der Straße schwer auszumachen. Aber diese alte Frau, die von einer andere Frau über die Brücken geführt wird – die wird doch hier geboren sein? Oder dieser alte Mann, den eine Frau durch die Gassen von Guidecca schiebt – der lebte schon immer hier, und wird hier auch sterben? Und diese beiden Männer, die sich in einer engen Gasse freundlich im Vorbeigehen grüßen und im Weitergehen die Neuigkeiten des Tages austauschen, die haben früher schon als Kinder zusammen auf dem Campo San Polo Fußball gespielt?
Der alte Mann, mit dem ich mich auf der Bootshaltestelle von San Erasmo unterhielt, erzählte mir: Ich war Gondoliere. Ja, ich bin hier geboren. Jetzt sind meine beiden Söhne auch Gondolieri.
Ein alter Berufsstand, den es nur in Venedig gibt. Neue Lizenzen werden nicht vergeben, erzählt ein Tourist vor der Seufzerbrücke seiner Frau, der Beruf wird weiter vererbt. Wo gibt es denn sowas noch? Wie kann man eine Stadt, die viele solcher Eigentümlichkeiten beherbergt, überhaupt mit anderen Städten vergleichen? Ich kann es nicht.
Die Einwohner schwinden, nicht jeder kann Gondoliere sein, und soviel andere Arbeit gibt es hier nicht. Genau so wenig sind alle, die hier arbeiten, Einheimische. Allen voran die Schwarzen, die in überfüllten Booten über das Meer nach Italien kamen, illegal, und nun aus Plastiksäcken heraus Plagiat-Handtaschen verkaufen, illegal. Aufgereiht stehen sie vor allem an der Riva degli Schiavoni, Uferpromenade zwischen Markusplatz & den Giardini, das billige Angebot ausgebreitet auf Plastikplanen, die bei Gefahr, schnell an allen vier Ecken genommen, zum Sack werden und die Hehlerware verbergen. Wenn der erste in der Reihe hört, dass Ordnungsbeamte nahen, packt die ganze Reihe eilig ein, flieht & sucht sich einen neuen Platz.
Wie fühlt sich einer, der in Venedig geboren ist & dann wegziehen muss? (Ein Luxusproblem? Venedig ist ein Luxus, auf den man nicht mehr verzichten kann ...) Schlimmstenfalls nach Mestre, der hässlichen Schwester der schönen Stadt, die gleich gegenüber am Festland liegt. Wo Industrieschornsteine statt Kirchtürme in den Himmel ragen & wo man in Mietskasernen lebt statt in Palazzi. So nah an Venedig, zum Greifen nah & doch weltenweit entfernt.
Wie fühlt man sich als Eingeborener Venedigs, wenn man in den Gassen der Stadt nur Fremden begegnet? Die wie eine Invasion vom Himmel fallen oder über das Meer kommen. Ein Heer, eine Streitmacht, die Anspüche auf Venedig erhebt: hier, ich habe diese Reise gekauft, & jetzt will ich auch ein Stück von Venedig haben. Aber wenn Tausende ein Stück wollen, und wenn es allen so gut schmeckt, dass sie ein zweites und drittes Stück nehmen, was bleibt dann noch übrig?
Reservate für Eingeborene, entlegene Stadtteile, Gassenzüge ohne Frari-Kirche oder Rialtobrücke, in denen Eingeborene Caffè trinken, & garantiert keinen Caffè Americano. Da sitzen sie an einer unspektakulären & dennoch schönen Fondamente, irgendwo in Cannaregio, kauen an ihren Fingernägeln, jenseits der Anderen, die durch ihre Objektive ein Motiv nach dem anderen erlegen.
Und wenn sie raus wollen aus ihrem Stadtteil? Bleibt ihnen die Linie 3, für Touristen verboten, die daran erinnert werden: die Stadt ist nicht ganz in euer Hand & unter euren Füßen.
Oder die, die hier Arbeit gefunden haben, schwere Wagen vor sich her schieben, über eine Brücke nach der anderen, schaffen sich durch energische Warnrufe einen Weg durch schlendernde Touristen.
Rolling Venice – eine Gesamtattraktion wie Venedig muss am Laufen gehalten werden. Alles was da ist, für Hotels, Geschäfte, Einheimische & Touristen, muss hierher gebracht & verteilt werden, ohne LKWs. Und so sieht man auf den Kanälen nicht nur schwarze Gondeln, die Touristen tragen, sondern ebenso viele Motor- & Lastboote. Die einen bringen eine neue Waschmachine, in einem anderen macht sich ein junges Paar auf zu einem Ausflug auf eine ruhigere Insel der Lagune, die Erholung verspricht von der Mutterinsel. Eine Löwenmutter, die die anderen Inseln schützend unter ihre Flügeln nimmt, & sie gleichzeitig von dem eigenen Glanz abschirmt. Eine prächtige Löwin, aber ohne feste Pranken, ohne Bodenhaftung, und auch die Schwingen sind nicht flugtauglich.
Tiere Venedigs – Kühe, Hühner, Schweine gibt es nur auf dem Teller. Löwen nur in Stein & Legenden. Pferde nicht mal in Standbildern. Tauben gibt es, unzählige, vor allem auf dem Markusplatz. Möwen gibt es, denn dies ist eine Stadt am Meer, wenn auch nur indirekt. Katzen gibt es nur wenige. Wenn, dann wurden sie systematisch kastriert oder auf anderen Inseln ausgesetzt. Hunde gibt es, überwiegend kleinere Rassen, aber keine Dackel, denn die können nicht gut Brücken steigen. Hunde, die Kot hinterlassen – vom verantwortungsvollen Halter im Plastikbeutel mitgenommen, vom wenigstens beschämten mit einem Stück Zeitung überdeckt und umso tückischer, wenn man ahnungslos drauf tritt. Ab der Dämmerung gibt es auch Fledermäuse, deren Schwingen & Schwirren man zwischen den eng zusammenstehenden Gebäuden vibrierend vernehmen kann, wie ich mir des öfteren einbildete.
Zurück zu den Menschen - Menschen Venedigs: Einheimische vs. Touristen? Es tun sich zwei Parallelwelten auf, habe ich gehört. Und man erfährt es auch, etwa wenn man zu einem gehobenen Preis einkauft, oder eben, wenn einem die Fahrt mit der Linie 3 verwehrt wird.
Venedigs Menschen – das sind nicht nur die Menschen von heute, die von morgen, die übermorgen wieder abreisen – das sind auch die Menschen von gestern. Ganz gestern, Menschen aus längst vergangenen Epochen. Menschen, die die Gemälde Canalettos bevölkern – Menschen mit anderem Erscheinungsbild, anderem Zeitgefühl, anderen Möglichkeiten.
Imaginierte Menschen: Don Juan oder Gustav von Aschenbach, der den Tod in Venedig fand.
„Menschen“, die nie in Venedig waren, aber omnipräsent sind: heilige Menschen, allen voran Maria & das Jesuskind, in den Gemälden Bellinis oder Tizians.
Dogen, die die Macht Venedigs verkörperten. Händler, die den Orient ins Abendland brachten. Weltreisende, die es aus Venedig raus trieb um es mit anderen Städten und Ländern zu vergleichen – Marco Polo. Adlige, die sich Paläste am Canal Grande bauten.
Und andere Namen, die ewig bleiben: Gabrieli, Monteverdi, Vivaldi – Menschen, die Venedig & all seine Pracht vertont haben – auch wer Venedig nie gesehen hat, kann seine Schönheit in einem Violinkonzert oder einer Oper dieser Meister nachempfinden.
Menschen Venedigs – Einheimische vs. Touristen? Nein, auf den Gassen & Kanälen Venedigs herrscht kein Krieg. Hier fliegen keine bösen Blicke wie Pfeile durch die Luft. Es ist kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander, mindestens ein Nebeneinander - man braucht sich.
Hier & da lächelt ein Venezianer einem Fremden müde hinterher, nicht verachtend, sondern bedauernd: ich lebe hier, doch du bist morgen wieder fort ... arme Seele ... doch nimm dir ruhig ein Stückchen meiner Stadt mit, denn ich kann all diese Pracht unmöglich allein (er)tragen.
Und überhaupt, das spürt hier auch der Ungläubige: was Gott gegeben hat, das soll man teilen.
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Endgültiger Text,
Hanna,
menschen venedigs
20/06/08 Nora Wicke / Karmin
Karmin
Rote Wände die ebenso wie Aquarellbilder aggressiv machen sollen Scharlachbeeren die nach rauschhaften Zuständen klingen Florentiner Lack eingeatmet ausgespuckt
das ist der Ton in Wien wie Rosen Wein und Samtsofa gedämpft reich und verstaubt
leicht zurückhaltend und doch stark gedämpft vorm offenen Feuer auf dem gefärbten Lammfell zwischen Gläsern und Blüten gebadet in Paris gepflegt
in meinen Raum verirrt sich kein karminrot höchstens unabsichtlich ein kleiner Stein aus dem Kinderzimmer rübergerollt erholen sich meine Augen an der weißen Wand
Rote Wände die ebenso wie Aquarellbilder aggressiv machen sollen Scharlachbeeren die nach rauschhaften Zuständen klingen Florentiner Lack eingeatmet ausgespuckt
das ist der Ton in Wien wie Rosen Wein und Samtsofa gedämpft reich und verstaubt
leicht zurückhaltend und doch stark gedämpft vorm offenen Feuer auf dem gefärbten Lammfell zwischen Gläsern und Blüten gebadet in Paris gepflegt
in meinen Raum verirrt sich kein karminrot höchstens unabsichtlich ein kleiner Stein aus dem Kinderzimmer rübergerollt erholen sich meine Augen an der weißen Wand
Donnerstag, 19. Juni 2008
190608/ Marion Starke/ Kaleidoskop
Burano zieht an!
Burano kleidet sich in kunterbunten Schichten. Dicht nebeneinander reihen sich Maigrün, Violett, Karminrot, Altrosa, Kanariengelb, Pink, Ocker, Ulramarinblau und noch viele andere Farben in den unterschiedlichsten Schattierungen. Burano ist eine Farborgie für die Augen und heute Anziehungspunkt für viele Künstler.
Wieder bietet Venedig die Frage: Ist diese Villa Kunterbunt mit seinen kleinen angemalten Häuschen eine Theaterkulisse oder ist das Wirklichkeit?
Mittwoch, 18. Juni 2008
Kein Ort zum bleiben / Endgültiger Text / Christiana
Kein Ort zum bleiben
Selbstgefällig ragt Venedig aus der weiten, ebenen Wasserlandschaft und präsentiert seine Pracht, als würde es aller Naturgewalt trotzen wollen. Reichgestaltete Paläste und Kirchen erzählen von einer großen Vergangenheit. Unwirkliche, morbide Kulisse in diesiger Melancholie der Lagune.
Der Archipel ist kein sicherer Boden. Das wussten bereits die ersten Siedler. Auf der Flucht vor den einfallenden Goten, fanden sie gerade deshalb in der Lagune Zuflucht. Das unwegsame Marschland war nur Einheimischen bekannt und zu unsicher für fremde Invasoren. Obwohl das Sumpfgebiet kein Ort für eine dauerhafte Besiedlung war, blieben die Flüchtenden.
Hüttenbau auf hohen Ufern, ein Meer von hundert Inseln, geschaffen durch die natürlichen Wasserläufe, die vom Festland zur Adria hervor drangen. Einige von ihnen bilden inmitten der Lagune zusammengeschweißt das Fundament des Stadtkerns. Durch ihn windet sich s-förmig der Canal Grande, die spätere Prestigestraße Venedigs. Vom ihm führen Kanäle zu den anderen Teilen der Stadt. Das Wasser bestimmte von Anfang an das Leben.
Man baute mit leichten Materialien, wie Holz und Ziegeln; man rammte Pfähle unter die tragenden Mauern in den Boden, um ihn belastbarer zu machen. Eine intelligente Statik, angepasst an den bewegten Untergrund, ermöglichte mehrstöckige Häuserbauten. Venedig wuchs mit seiner Bevölkerung. Venedig war attraktiv.
Von der Weltmacht zur Ohnmacht.
Zwischen Orient und Okzident gelangte die Stadt zur Weltmacht, betrieb Handel, füllte ihre Speicher und wurde reicher. Bis ihr diese Rolle von anderen abgenommen wurde. Doch was sie sich auf ihrem Grund erschaffen hatte, blieb ihr erhalten, über Kriege hinweg bis heute.
Bezaubernde Kulisse. Besucherüberschwemmung. Venedig begann sich selbst im Ausland zu handeln. Teil dieses Handels wurde der eigene Untergang. Die Schutzmacht des Wassers ist obsolet, stattdessen wird es zur eigenen Bedrohung.
Einst flüchtete man in die Lagune, nun flüchtet ihre Bevölkerung.
Die ganze Welt ist zu Besuch.
Was bleibt?
Anmerkung: Der Text ist noch nicht fertig...
Selbstgefällig ragt Venedig aus der weiten, ebenen Wasserlandschaft und präsentiert seine Pracht, als würde es aller Naturgewalt trotzen wollen. Reichgestaltete Paläste und Kirchen erzählen von einer großen Vergangenheit. Unwirkliche, morbide Kulisse in diesiger Melancholie der Lagune.
Der Archipel ist kein sicherer Boden. Das wussten bereits die ersten Siedler. Auf der Flucht vor den einfallenden Goten, fanden sie gerade deshalb in der Lagune Zuflucht. Das unwegsame Marschland war nur Einheimischen bekannt und zu unsicher für fremde Invasoren. Obwohl das Sumpfgebiet kein Ort für eine dauerhafte Besiedlung war, blieben die Flüchtenden.
Hüttenbau auf hohen Ufern, ein Meer von hundert Inseln, geschaffen durch die natürlichen Wasserläufe, die vom Festland zur Adria hervor drangen. Einige von ihnen bilden inmitten der Lagune zusammengeschweißt das Fundament des Stadtkerns. Durch ihn windet sich s-förmig der Canal Grande, die spätere Prestigestraße Venedigs. Vom ihm führen Kanäle zu den anderen Teilen der Stadt. Das Wasser bestimmte von Anfang an das Leben.
Man baute mit leichten Materialien, wie Holz und Ziegeln; man rammte Pfähle unter die tragenden Mauern in den Boden, um ihn belastbarer zu machen. Eine intelligente Statik, angepasst an den bewegten Untergrund, ermöglichte mehrstöckige Häuserbauten. Venedig wuchs mit seiner Bevölkerung. Venedig war attraktiv.
Von der Weltmacht zur Ohnmacht.
Zwischen Orient und Okzident gelangte die Stadt zur Weltmacht, betrieb Handel, füllte ihre Speicher und wurde reicher. Bis ihr diese Rolle von anderen abgenommen wurde. Doch was sie sich auf ihrem Grund erschaffen hatte, blieb ihr erhalten, über Kriege hinweg bis heute.
Bezaubernde Kulisse. Besucherüberschwemmung. Venedig begann sich selbst im Ausland zu handeln. Teil dieses Handels wurde der eigene Untergang. Die Schutzmacht des Wassers ist obsolet, stattdessen wird es zur eigenen Bedrohung.
Einst flüchtete man in die Lagune, nun flüchtet ihre Bevölkerung.
Die ganze Welt ist zu Besuch.
Was bleibt?
Anmerkung: Der Text ist noch nicht fertig...
180608/ Marion Starke/ Lagunenmeer
Ein Objektivierungsversuch.
Über das Meer und die Lagune.
Das Wasser der Lagune funkelt geheimnisvoll: acqua luminosa. Ein milchiges Smaragdgrün, das sich wie ein wanderndes Farbmosaik auf den blätternden Hausfassaden spiegelt.
Zwischen den schwimmenden Plastikflaschen klettern vereinzelt Krebse an tannengrünen Gewächsen zur Oberfläche. Farn aus Atlantis dringt zur Oberfläche, bricht das wertvolle Funkeln. Arielles Haare, Verwehungen im Algenmeer. Birgt die Stadt Versunkenes? Ich würde gerne in der Lagune tauchen. Ich würde gerne diese Lagune taufen.
Die Insel hüllt sich in einen diesigen Schleier drückender Hitze. Ein klebriger Film feuchter Schwüle umgibt mich und lässt nicht los. Die Luft sieht so schwer aus wie sie sich anfühlt. Sie wickelt sich wie Frischhaltefolie um meine Haut. Ich zwänge mich zwischen den Pfützen der Schatten. Grüne Killermücken kühlen ihre Füße auf meinem klebrigen Körper. Meine Haut ist eine Spielwiese. Schwüle, Sonne, Hitze und immer wieder Hitze. Ich schwitze und verschwimmen in der Lagune.
Wenn diese Kreuzfahrtdampfer durch den Canal de Guidecca fahren, sieht es so aus, als würden sie irgendetwas vor sich her schieben – als würden sie auf einem Fließband laufen. Bewegen sich die Kreuzfahrtschiffe? Bewegen sie die Stadt? Verschieben sie die Silhouette der Serenissima?
Ein Moosteppich aus Algen bedeckt die Treppenstufen der Vaporettostationen. Unterschiedliche Farb- und Klangschattierungen ertönen in den Wasserstraßen zu verschiedenen Phasen des Tages. Das Plätschern des Wasser, die Wellen, wie sie gegen die Planken der Vaparettos peitschen. Kleine Mückenlarven werden aus der Bewegung des Wassers heraus gewirbelt. Kleine Elfen surren.
Über das Meer und die Lagune.
Das Wasser der Lagune funkelt geheimnisvoll: acqua luminosa. Ein milchiges Smaragdgrün, das sich wie ein wanderndes Farbmosaik auf den blätternden Hausfassaden spiegelt.
Zwischen den schwimmenden Plastikflaschen klettern vereinzelt Krebse an tannengrünen Gewächsen zur Oberfläche. Farn aus Atlantis dringt zur Oberfläche, bricht das wertvolle Funkeln. Arielles Haare, Verwehungen im Algenmeer. Birgt die Stadt Versunkenes? Ich würde gerne in der Lagune tauchen. Ich würde gerne diese Lagune taufen.
Die Insel hüllt sich in einen diesigen Schleier drückender Hitze. Ein klebriger Film feuchter Schwüle umgibt mich und lässt nicht los. Die Luft sieht so schwer aus wie sie sich anfühlt. Sie wickelt sich wie Frischhaltefolie um meine Haut. Ich zwänge mich zwischen den Pfützen der Schatten. Grüne Killermücken kühlen ihre Füße auf meinem klebrigen Körper. Meine Haut ist eine Spielwiese. Schwüle, Sonne, Hitze und immer wieder Hitze. Ich schwitze und verschwimmen in der Lagune.
Wenn diese Kreuzfahrtdampfer durch den Canal de Guidecca fahren, sieht es so aus, als würden sie irgendetwas vor sich her schieben – als würden sie auf einem Fließband laufen. Bewegen sich die Kreuzfahrtschiffe? Bewegen sie die Stadt? Verschieben sie die Silhouette der Serenissima?
Ein Moosteppich aus Algen bedeckt die Treppenstufen der Vaporettostationen. Unterschiedliche Farb- und Klangschattierungen ertönen in den Wasserstraßen zu verschiedenen Phasen des Tages. Das Plätschern des Wasser, die Wellen, wie sie gegen die Planken der Vaparettos peitschen. Kleine Mückenlarven werden aus der Bewegung des Wassers heraus gewirbelt. Kleine Elfen surren.
180608/ Marion Starke/ Venedig Bedeutung
Venedig heißt für mich ein Stück Vergangenheit aufsaugen. Von kulturellen Streifzügen über Maler, Kurtisanen und Poeten. Von kulinarischen Streifzügen in Trattorien über das Leben und Lieben auf der Piazza. Von zahlreichen Bauwerken verschiedener Stilepochen, die steingewordene Zeugnisse der Stadtgeschichte sind. Von Glanz, Melancholie und Künstlichkeit in Geschichten, Gedichten und Berichten, die das Fluidum, der über den Wassern schwebenden Serenissima, zu mir trägt.
Venedig heißt für tausend gurrende Tauben auf den Zinnen der Paläste sitzen. Von Büste zu Büste fliegen, Tramezzini-Brotsamen zu picken, Fotografen zu erschrecken, Dreck auf dem Mamorboden verteilen, kreischenden Weibern entgegen zu flattern, im Gesims der Markuskirche nächtigen und sich auf den Köpfen der Löwen zu vermehren.
Venedig heißt für tausend gurrende Tauben auf den Zinnen der Paläste sitzen. Von Büste zu Büste fliegen, Tramezzini-Brotsamen zu picken, Fotografen zu erschrecken, Dreck auf dem Mamorboden verteilen, kreischenden Weibern entgegen zu flattern, im Gesims der Markuskirche nächtigen und sich auf den Köpfen der Löwen zu vermehren.
170608/Marion Starke/Tod in Venedig
„Tod in Venedig“ ist die Zeit „wenn die Gondeln Trauer tragen“
Venedig heißt für ca. vier ausländische Touristen im Jahr eine Stadt voller Mysthik. Ein Trug-, ein Traumbild, das dazu veranlasst sich das Leben zu nehmen. Ganz bewusst wählen sie die Stadt in der Lagune. Depressionen, private und berufliche Probleme schüren vor allem bei Singles um die 40 Selbstmordgedanken, die die Schriften von Richard Wagner und Thomas Mann lasen. Das "Venedig-Syndrom" lässt Frauen eine Überdosis Schlaftabletten im überteuerten Hotelzimmer nehmen und Männer aus dem Fenster oder von der Rialto-Brücke in den Canale Grande stürzen.
Venedig heißt für ca. vier ausländische Touristen im Jahr eine Stadt voller Mysthik. Ein Trug-, ein Traumbild, das dazu veranlasst sich das Leben zu nehmen. Ganz bewusst wählen sie die Stadt in der Lagune. Depressionen, private und berufliche Probleme schüren vor allem bei Singles um die 40 Selbstmordgedanken, die die Schriften von Richard Wagner und Thomas Mann lasen. Das "Venedig-Syndrom" lässt Frauen eine Überdosis Schlaftabletten im überteuerten Hotelzimmer nehmen und Männer aus dem Fenster oder von der Rialto-Brücke in den Canale Grande stürzen.
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