Donnerstag, 15. Mai 2008

Bildbeschreibung/ Henrike Terheyden/ Giobbe

Dieser Versuch einer Bildbeschreibung der Pala di San Giobbe muss noch durch Beschreibung der Architektur im Bild ergänzt werden.

Es ist voll hier in der Apsis. Es ist viel Körper und wenig Raum. Der Raum existiert nicht. Wirklich nicht. Er ist eine Fläche, eine gold schimmernde Fläche in die wir glauben tauchen zu können. Es handelt sich um die Sacra Conversazione Darstellung der Pala di San Giobbe von Bellini, entstanden um das Jahr 1480.

Die illusorische gemalte Apsis ist bevölkert von elf Personen, die in symmetrischer Form angeordnet sind. Der Bildraum ist durch die Mittelsenkrechte, die genau den Körper der Maria mit dem Jesuskind trifft, in zwei Hälften geteilt. Maria sitzt auf einem Marmorthron und grüßt mit der linken Hand in die Richtung, der ihr Blick folgt. Mit ihrer rechten Hand hält sie das Jesuskind, das nackt auf ihrem rechten Knie sitzt. Sie trägt ein blaues Gewand und einen weißen Schleier über einem gold bestickten, roten Unterkleid. Ihr Blick ist ernst.
Das Kind auf ihrem Schoß trägt die gleiche Ernsthaftigkeit im Gesicht, mit dem Unterschied, dass die Trauer, die bei Maria in der Ernsthaftigkeit mitschwingt, bei Jesus ein Erschrecken ist. Er hält sich mit seiner rechten Hand an den Falten des Gewands der Mutter fest, die linke ruht auf seiner Brust. Beide Beine sind angewinkelt, und wie zum Loslaufen versetzt gehalten. Sein Blick ist nach links oben aus dem Bildraum gewandt, Maria schaut nach rechts, etwas tiefer.
Zu ihren Füßen musizieren drei Engel, gekleidet in blau, grün, gold und einer trägt einen roten Schal. Sie bilden ein in sich geschlossen funktionierendes Dreiergespann, zwei sitzen im Vordergrund, einer etwas weiter nach hinten versetzt. Zwei ihrer Blicke sind in die gleiche Richtung gerichtet, in die das Jesuskind schaut.
Die drei Engel flankierend, aber etwas weiter in den Vordergrund geschoben, stehen links und rechts jeweils drei Heilige. Links von der Mutter Gottes (aus der Sicht des Betrachters) stehen der heilige Franziskus, Hiob und Johannes der Täufer, rechts von ihr die Heiligen Sebastian, Dominikus und Louis von Toulouse.
Die beiden Dreiergruppen sind ebenfall symmetrisch zueinander. Bellini umgeht Eintönigkeit sehr klug, ohne die Gleichmäßigkeit aufs Spiel zu setzen, indem er die beiden Dreierfiguren gleich aufbaut, sie aber mit hundertachtzig Grad zueinander dreht. So stehen links zwei Figuren vorne und einer im Hintergrund. Rechts jedoch steht nur der heilige Sebastian, der mit seinen Pfeilen an sich schon viel Platz benötigt, im Vordergrund, und seine beiden Begleiter füllen den Raum hintern ihm. Auch in den Blickrichtungen der Heiligen hat sich Bellini für ein ausgewogenes aber nicht zu offensichtliches Dreierverhältnis entschieden. Drei der Heiligen betrachten das Jesuskind versonnen und in Andacht (Johannes der Täufer, Hiob und Louis von Toulouse), die anderen drei richten ihre Blicke nach innen oder aus dem Bildrand heraus, ähnlich wie die Mutter Gottes und das Jesuskind.
Der heilige Franziskus trägt seine entbehrsame Franziskanerkutte mit der geknoteten Kordel, in einem braun, das grün scheint und von der Farbe des Gewandes des mittleren Engels aufgegriffen wird. Er steht nach außen gedreht, in seiner Armhaltung greift er die des Jesuskindes auf und präsentiert so seine Stigmata. Seinen rechten Zeigefinger hält er in die Wunde an seinem Brustkorb, ein Loch in seiner Kutte lässt dies zu. Sein Blick ist leidend bis kontemplativ.
Zu seiner Linken, dem Jesusknaben am nächsten, steht Hiob, wie meistens beinahe nackt, allem entbehrend, was irdisch ist und dennoch voller Demut. Mit aneinander gelegten Händen und im dynamischen Kontrapost ist er der Gottesmutter zugewandt. Im Tuch um seine Hüften finden sich die Farben des linken Engelsgewandes wieder. Seine Lippen sind leicht geöffnet und seine Mimik ist staunend andächtig. Seine angewinkelten Arme weisen sowohl auf das Jesuskind, als auch auf die grüßende Hand der Gottesmutter.
Hinter den beiden Heiligen steht beinahe ganz verdeckt Johannes der Täufer, in grünem Gewand und nur erkennbar an dem zierlichen Holzkreuz, das hinter Franziskus aufragt und sich im Zwischenraum zwischen Hiob und Franziskus so fortsetzt, dass man annehmen muss, es sei durch seine Hand gehalten. Auch er richtet den Blick auf das Jesuskind, vielleicht etwas weiter in den Bildraum hinein, als Hiob. Nur schwer kann man seine Augen deutlich ausmachen. Die Heiligenfiguren stehen in keinem kommunikativen Kontakt zueinander.
Ebenso auf der anderen Seite, auf der sehr deutlich der heilige Sebastian dominiert. Er steht mit hinter dem Rücken verschränkten Armen und mit zwei Pfeilen im Körper zentral im rechten Bildraum. Ein Pfeil steckt ihm im Unterleib, des andere im linken Schienbein. Er ist bis auf ein weißes Tuch um die Lenden unbekleidet und bildet so das Gegenstück zu dem weichen Inkarnat des Hiob auf der anderen Seite. Sein Kopf ist leicht geneigt, sein Blick unter der weich wallenden Haarpracht schmachtend, andächtig aus dem Bildraum heraus gerichtet. Auch er steht in leichtem Kontrapost. Wirkt ein wenig, wie nur kurz vom Marterpfahl weg gebeamt, direkt in die Apsis hinein. Die Arme noch verbunden, doch ohne Pfahl.
Verlängert man die Linien, die die Pfeile etablieren, erhält man die Konstruktionslinien für Hiobs Schultern und Knie.
Hinter Sebastian ist Dominikus in sein Buch vertieft, erkennbar an seiner schwarz-weißen Kutte und dem Buch. Das weiße Unterkleid seines Gewandes trifft sich in einer geschwungenen, das Auge leitenden Linie im Instrument des mittleren Engels und im Inkarnat des Gottesknaben wieder. Seine unter dem Buch gefaltenen Hände weisen schräg nach oben zur Gottesmutter. So bilden die Hände von Hiob, der Mutter Gottes und Dominikus ein imaginäres Dreieck, das den Schoß der Gottesmutter und das Jesuskind einschließt.
Ganz am Rand und kaum zu sehen (eventuell durch Beschneidungen der Bildfläche?) befindet sich Louis von Toulouse, erkennbar am Bischofsornat und mit jugendlichen Zügen. In der linken Hand hält er den Bischofsstab, von dem sich nur noch ein Teil seiner Krümmung im Bildrand befindet. Sein Blick ist auf Mutter und Kind gerichtet, sein Ausdruck andächtig, ehrfürchtig.

Versuch einer ikonografischen Interpretation

Die Tatsache, dass die Apsis wirklich wirkt, sich in die alltäglichen Bewegungszusammen-hänge der Gläubigen einzugliedern scheint, vermittelt Nahbarkeit, die aber durch die würdevolle Haltung der Heiligen und der Mutter Gottes nicht mit lapidarer Vertrautheit verwechselt werden kann. Diese Distanz trotz der Nähe schafft auch die Sicht von Unten auf das Geschehen, die die Betrachterin erfährt. Außerdem ist die illusorische Apsis auch ein Verweis auf das Himmelreich Gottes. Da, aber doch nicht da, präsent und dreidimensional und doch nicht betretbar.

Die deutliche Konzentration auf den symmetrischen Aufbau haben wir der besonderen Wichtigkeit der Gottesmutter zu verdanken. Sowie der Versinnbildlichung einer „göttlichen Ordnung“. Maria verdient den zentralen Platz, durch den Thron und die Architektur, in zarten Linien angedeutet, hat sie „den direkten Draht nach oben“. Vielleicht ist es auch dieser heiße Draht, der sie den Kreuzestod ihres Sohnes bereits voraussehen lässt. In ihrem ernsten Blick spiegelt sich die Sorge und die Trauer aus der Vorhersehung wieder. Und noch jemand anders scheint diese Hinrichtung vorherzusehen: der heilige Franziskus, der als Erkennungszeichen die Kreuzeswunden Christi trägt, und auf sie hin weist, wiederholt die Bewegungen des Christusknaben, oder kopiert Christus den heiligen Franziskus? Diese Doppelung ist ein deutlicher Hinweis auf die Kreuzeswunden, und selbst der Jesusknabe scheint schon mit dem Erschrecken in seinem kindlichen Gesicht seinen Vater zu fragen, warum er durch diese Folter wird gehen müssen.

Die vermehrt auftauchenden Dreierkonstellationen dürfen sowohl als optisch ausgewogene Kompositionsmittel verstanden werden, als auch als direkter Verweis auf die Dreifaltigkeit.
Die Dreiergruppen finden wir sowohl in den beiden Heiligengruppen, wie auch in der Anordnung der Engel, und der drei Parallelen aus Säulen und Thron.

Das bereits beschriebene imaginäre Dreieck, das die Hände von Maria, Dominikus und Hiob bilden, schließt den Schoß der Gottesmutter und des Jesuskind ein. Neben der deutlichen Ansprache der Gottesmutter in der Kuppel der Apsis als „unberührte Blume jungfräulicher Keuschheit“, ist diese Komposition ein weiterer Verweis auf die unbefleckte Empfängnis Mariens und die Anwesenheit Gottes.

Die anwesenden Heiligen verkörpern Entsagung und bedingungslosen Gehorsam (Franziskus und Hiob), Johannes der Täufer gilt als Wegbereiter Christi und wichtiger Prediger. Bei ihm werden Worte in Taten umgesetzt (die Taufe), ähnlich wie bei Dominikus, der die klösterliche Armut mit dem unbedingten Postulat nach Bildung vereinte. Der heilige Sebastian und Louis von Toulouse wurden traditionell gegen die Pest angerufen und Sebastian war ein Sinnbild für das Märtyrertum.

So finden wir also die Hauptthemen: Unbefleckte Empfängnis, Selbstaufgabe und Hingabe und Bildung im Namen Gottes, als zentrale Themen zur Begegnung mit Gott.

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