Montag, 12. Mai 2008

Vorstellung/ Hanna Breinlinger/ Venedig-Bilder

Hanna Breinlinger (April 08)


Venedig-Vorstellungen/Venedig-Bilder


Ende September/Anfang Oktober des letzten Jahres habe ich 10 Tage in Venedig verbracht & dort viele spezielle & persönliche Bilder gesammelt – deshalb fällt es mir nun etwas schwer, über allgemeine Bilder nachzudenken. Ich muss also in die Zeit vor dieser Reise zurückgehen und mich fragen, welche Vorstellungen ich damals von Venedig hatte.
Oder überlegen: welche der gesammelten Bilder sind eher allgemein(gültig)?
Venedig ist im Allgemeinen wohl das, was man von Postkarten-Motiven kennt: blauer Himmel, türkisfarbene Lagunen-Kanäle, schwarzlackierte Gondeln, die von stroh-behuteten Gondolieri kunstvoll gesteuert werden. Die Passagiere sitzen in gepolsterten Stühlen & werden von Live-Musikern begleitet, wenn ihr Budget es erlaubt.
Rechts & links der Kanäle, vornehmlich des Canale Grande, erheben sich die Palazzi aus dem Wasser der Lagune. Es sind prächtige Bauten, die den Charme des Altertümlichen verströhmen.
Putz blättert ab, je weiter unten, desto mehr, denn das Wasser knabbert langsam aber unaufhörlich an der Stadt.
Venedig, das bedeutet auch Untergangs-Szenarien: wie lange wird Venedig noch stehen? Wann siegen Wind, Wetter & Wasser und erobern sich das eigentlich unbebaubare Terrain zurück? Welche neuen Pläne gibt es, die Stadt zu retten? Wird ein Millionen verschlingendes Schleusen-System gebaut, um die Lagune vor den Launen des Meeres zu schützen?
Diese Vorhaben muten nach wie vor abstrakt an, auch wenn der Klimawandel & der Anstieg des Meeresspiegels momentan in aller Munde sind.
Venedig selbst ist so abstrakt, dass auch sein möglicher Untergang es bleibt. Abstrakt im Sinne von unfassbar: eine Stadt, die im Wasser steht? Das glaube ich erst, wenn ich es selbst gesehen habe ...
Für mich wird Venedig immer von einem Hauch des Unrealen umweht – der Standort & die Schönheit sind so außergewöhnlich, dass die Stadt mir vorkommt wie ein einziges Traumgebilde.
Das geht mir immer noch so, obwohl ich nun einige Tage dort verbracht habe. Aber Venedig unterscheidet sich so grundlegend von Hildesheim (und dem Rest von Deutschland, Europa & der Welt – trotz Hamburg, das ja noch mehr Brücken haben soll, Amsterdam, wo es auch viele Kanäle gibt, oder Venice in Los Angeles, das nur eine billige Kopie ist), dass ich, zurückgekehrt, fast nicht mehr glauben kann, dort gewesen zu sein.
Aber zurück zu den allgemeinen Venedig-Bildern: der Markusplatz gehört natürlich dazu, ob nun überflutet von Wasser, oder von Menschen & Tauben. Was gibt es in Venedig mehr, Tauben oder Touristen? & was ist die größere Plage? Tauben werden auch die Ratten der Lüfte genannt, doch auf dem Markusplatz sind sie längst etabliert, werden gefüttert & fotografiert, gehören fest zum Stadtbild. Ich empfinde eher die Touristen als Plage – obwohl ich selbst einer bin. Wahrscheinlich ärgert sich jeder Angereiste (& Anwohner) über das Gedränge in den engen Gassen, vor allem zur Hochsaison - aber jeder einzelne Tourist ist ein eingedrungenes Steinchen in diesem ewig wimmelnden Mosaik.
Aber ich war doch wenigstens als Quality-Tourist unterwegs ... ich habe in einer Wohnung gewohnt, habe alle Stadtteile Venedigs aufgesucht, nicht nur den Markusplatz, die Shopping-Gassen um ihn herum, den Canale Grande & die Rialto-Brücke ... ich bin mit dem Zug gekommen, nicht mit einem Billigflieger, oder einem Ozean-Kreuzer, der bis vor den Markusplatz fahren darf & die ganze Stadt zu überragen scheint ... ich war nicht nur 2 Tage dort, sondern 10, und konnte so einen Eindruck vom every-day-life der Einwohner gewinnen ... ich habe das Boot gesehen, das die Verstorbenen aus dem Hospitale zur Friedhofsinsel bringt, oder ein Motorboot, das den Hotels das Klopapier anliefert - nicht bloß die schwarz lackierten Gondeln, auf denen kleine Opern inszeniert werden ...
Trotzdem, ich weiß den Namen des Kanals nicht mehr, an dem wir neben überwiegend Einheimischen einen Kaffee getrunken haben ... auch nach 10 Tagen bleibt Venedig mir fremd ...
Aber meine Liebe zu dieser Stadt ist weiter gewachsen. Und so freue ich mich darauf, bald zurückzukehren, & das Geheimnis dieses merkwürdigen aber realen Traumgebildes weiter zu ergründen.
Gibt es ein reales oder imaginiertes Bild, das meine Vorstellungen von Venedig treffend wiedergibt?
Ein solches Bild fällt mir spontan nicht ein. Ein gemaltes schon gar nicht, da ich nicht viel Gemälde von Venedig kenne, & wenn, dann nur „alte Schinken“, mit denen ich mich in der Regel nicht identifizieren kann. Fotos hingegen habe ich unzählige gesehen, aber keines ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Auf die Kitschigen habe ich nur einen kurzen Blick geworfen, weil sie nichts Neues zu bieten haben. Die Kunstvolleren sind interessanter, da sie neue Perspektiven zeigen, oder Details erfassen, die sonst untergehen. Aber da ich nun so viel von Venedig gesehen habe, reicht ein Detail mir nicht aus, um die Stadt in ihrer Vielschichtigkeit wieder zu geben. Und Allgemeingültigkeit ist in einem Detail nur schwer zu bündeln.
Natürlich habe ich auch selbst Fotos von Venedig gemacht. Oder besser gesagt: 'in' Venedig. Denn auch mir ist kein Bild gelungen, das mir alleine ausreichen würde.
Es gibt aber das ein und andere Lieblingsbild: zum Beispiel ein paar Häuser, die auf dem Kopf zu stehen scheinen – an einigen verwellten Linien erkennt man jedoch, dass es sich um Spiegelungen in einem Kanal handelt. Oder das Bild eines marmornen geflügelten Löwen, dem Wappentier der Stadt, der seinen schweren Kopf müde auf seine starken Pranken gelegt hat, & dessen Augen leidvoll zum Himmel schauen.
Ob er sich wünscht, dass seine Flügel seinen massigen Körper davon tragen mögen, damit er dem Ansturm der Touristen entkommen kann? Er bewacht in einer der unzähligen Kirchen Venedigs das Grab eines großen Malers – doch auch hier herrscht keine Ruhe. Auch hier drängen sich die Touristen & ihre Kameras blitzen grell ins Dunkel der Kirche. Die Namen von Kirche & Künstler sind mir wieder entfallen, aber den Namen der Stadt vergesse ich nie: Venedig - Venice - Venezia!




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