Donnerstag, 15. Mai 2008

Stadtgerüst/ Svenja Wolff/ Der Fisch

Auf der Karte sieht Venedig aus wie ein Fisch. Ein steinerner Fisch in der Lagune. Sein Auge ist der Bahnhof, an ihm vorbei schlängelt sich der Canal Grande, durch den gesamten Fischkörper, um schließlich an der unteren Flosse ins Bacino de S. Marco zu münden.

Der Kanal ist die Hauptader, von der aus sich ein kapillarenartiges Netz aus Wasserarmen ausbreitet und die Stadt in kleine Häuserblockmassive zerteilt. Darüber spannt sich ein ebenso verworrenes Netz aus kleinen Gassen und Brücken, vierhundert an der Zahl; sie überwinden die Wasseradern und machen eine Durchquerung auch ohne Boot möglich.

Verlassen wir die Zweidimensionalität der Karte und stellen uns vor, mitten im Fischbauch, im Zentrum der Stadt, zu stehen, so tun sich in der Vertikalen ebenso Ebenen auf. Das Fundament aus Holzpfählen, von Wasser umsäumt, lässt den Bau von Kellern nicht zu. Dann das Straßen- und Brückennetzwerk, dem die Kanäle, außer bei Hochwasser, erliegen. Die mehrstöckigen Häuser, dicht aneinander gedrängt, halten die Straßen so klein und eng wie möglich. Auf ihren Dächern schließlich, thronen überall Terrassen, klein, verwinkelt, versteckt, die einen, wenn man denn Zugang hat, zumindest zeitweilen der Enge der Gassen entkommen lassen. Dies tun nicht zuletzt auch die Campos, die Piazza und andere Plätze, die in der Enge wieder Weite schaffen, so wie das Wasser, in dem der steinerne Fisch seit Jahrhunderten liegt.

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