Montag, 23. Juni 2008

Querschnitt durchs Notizbuch/ Svenja Wolff

Ein Querschnitt durch mein Notizbuch. (zusammenhangslos)


...doch das wirklich Spannende: Das unerklärliche Aufgesogen- Werden von Kunst.
Nicht genug davon zu kriegen, ein Bild zu lesen, Detail für Detail, einzuordnen, zuzuordnen, Achsen, Linien, Pinselstriche nachvollziehen, Farben sehen.
Irgendwann Überlastung, überladen sein wie die Kassettendecken im Dogenpalast.

Hier, jetzt, ich, finde ich im Vergangenen ein Stück von mir, jetzt, hier. Spiegeln mir die Bilder, was ich sehen will, was ich eh in mir trage.

Ich schreibe abwertend, mit zynischer Distanz, ich will der Stadt gar nicht glauben, das passt nicht zu meinem Bild von mir als Schreiberin. Zwischendurch frage ich mich: ist nicht eh schon alles gesagt? Alles unzählige Male beschrieben? Warum auch ich nochmal? Anders sehen??

Die Stadt ist ein bisschen ‚too much’.
Oft ertappe ich mich dabei, auf Karten oder auf Venedig- Bilder in Läden zu schauen, anstatt mich auf meine reale Umgebung zu konzentrieren.

Irgendwann scheint das Morbide der Gemäuer aufgesetzt, als würden die Fassaden mit Absicht bröckeln. Venedigs Charme wurde in ihren Bildern verbraucht. Das Echte wirkt nicht mehr echt. Wird es dadurch umso Leibhaftiger? Weil es eben doch echt ist und keine Disneylandkulisse?

Ikonen des 13. Jh. (erster Saal in der Accademia):
Wie fein Licht und Schatten auf den Hautgrund gesetzt sind! Lasierend, fließende Übergänge. Ganz entgegen dem Eindruck der Flächenhaftigkeit, der sich aus der Ferne einstellt. Da stechen plötzlich Kontraste ins Auge, Haut gegen Gewänder, gegen Goldgründe.

Was mich nervt: ‚Standbilder’ von irgendwelchen Heiligen. Pfeile in der Brust.

18. Jahrhundert ist scheiße.

Markuskirche. In der Krypta. In einer Gruft, mit angenehm gruftigem Geruch, von dem mir ein wenig schwummerig wird. (Oder ist es die Anstrengung des Tages? Die wackeligen Böden?)
Ein steinaltes Ziegel- Tonnengewölbe. Ich denke an Weinkeller. Doch das hier ist älter. Außerdem sind wir unter Wasser. Ich denke an die 10cm Hochwasser in der Eingangshalle.

Sonntag, 22. Juni 2008

220608/ Marion Starke/ Murano

Glaswunder

Nördlich des Stadtzentrums von Venedig befindet sich die Inselgruppe Murano. Bereits seit 1292 war Murano die Hauptinsel der Glasindustrie Venedigs. Heute weltweit bekannt durch hohe Qualität und Stabilität, aber vor allem durch mannigfaltig kunstvolle Farben und Formen (Flügel-, Fadenglas und mehr). Schon früh von der Glaskunst des Orients angeregt, wurden neben Gläsern, Vasen und Schalen zudem auch bunte Glasflüsse für Mosaiken hergestellt. Dem Herstellungsgeheimnis verbunden, war es den Glasbläsern von Murano unter Todesstrafe nicht gestattet die Insel zuverlassen.

Am offenen Feuer ausgeführt, entdeckten die Glasbläser neue Methoden zylindrisch geblasenes Spiegelglas herzustellen und große Glasflächen zugießen. Das kostbare Glas war bei europäischem Adel und Geistlichkeit besonders beliebt und ist in vielen Renaissance- und Barockschlössern zu finden. Inneneinrichtungen und Spiegelkabinette kleiden sich in cristallo. Wasserspiegelungen der Lagunenstadt findet man in den Salons wieder, als Glasspiegelungen: Abbildung, Widerspiegeln, Illusionen.

Mundgeblasene Kunstwerke aus Original Muranoglas, die keinen weiteren Sinn haben als zu erfreuen und zu verstauben, werden in Quantitäten an Touristen verkauft. Durchgefärbtes Millefioriglas mit blumenähnlichen, rundlichen Mustern, von bester Qualität, in meinem Koffer.

220608/ Marion Starke/ Bellinis Sacra C.

Giovanni Bellini: "Sacra Conversatione" in der Kirche San Zaccaria in Venedig, gemalt 1505.

Nun stehe ich vor Bellini. Ich will mich hinzu gesellen zu dieser "Sacra Conversatione". Will dieser heiligen Unterhaltung lauschen. Worin besteht diese Unterhaltung zwischen der Muttergottes und dem Jesu Kind und den vier Heiligen: Katharina, Hieronymus, Luzia und Petrus? Alle Figuren sind weder mit Blicken noch mit Worten einander zugekehrt. Sie schauen nach innen und genießen das Sakrament der Stille. Zufriedenes Einverständnis. Zu Füßen der Muttergottes auf den Stufen des weißem Marmorthrons sitzt ein weiterer Gesprächsteilnehmer an der Sacra Conversazione des Giovanni Bellini: ein musizierender Engel. Er blickt mich an und sagt “...es ist gut hier zu sein” und es erklingt diese unhörbare Musik. Ich bin im Bilde.

Nur Künstler, Heilige und Kinder können diese innere Stille der Heiligen Unterhaltung entstehen lassen. Sie sind in Stille mit Gott.

220608/ Marion Starke/ Tintorettos Verkündigung

Jacopo Tintoretto: "Die Verkündigung". 1583–1587, Scuola Grande di San Rocco, Venedig

Die Malschule Scuola Grandi di San Rocco aus dem 16. Jh. ist durch ihren außerordentlichen Besitz über sechsundfünfzig Bilderzyklen von Tintoretto berühmt. Alle drei Säle der Scuola wurden von Tintoretto mit Gemälden bestückt/beschmückt, auch die Deckengemälde stammen von ihm, so dass die Scuola als sein Gesamtwerk angesehen werden kann. Die Gemälde sind eine der bedeutendsten Bildersammlungen der Welt und der umfangreichste biblische Zyklus der ital. Kunst. Angefangen mit Adam und Eva, hat Tintoretto bis hin zur Erlösung der Menschen durch den Opfertod Christi den christlichen Glaubenskosmos entworfen.

Das Bild, das dem Besucher der Scoula di San Rocco als erstes ins Auge fällt, ist die Verkündigung des unteren Saals. In besonders dynamisch-dramatischer Weise erzählt Tintoretto hier die Verbindung der tranzendenten und der irdischen Welt.

Erzengel Gabriel fliegt in vollem Schwung ins Gemach der Maria. Das Haus ist einem Abbruchhaus gleich: bröckelnde Wände, ohne Tür und Fenster. Im Kontrast dazu stehen der Fußboden aus zweifarbigem Marmor und die kostbare Kassettendecke. Vor allem aber der prächtig rot leuchtende Baldachin, der üppig über das Bett im Hintergrund trohnt. Die jungfräuliche Maria, fleißig und fromm, mit Nähkorb, Spindel und Lektüre im Schoß. Sie wird überrascht vom Einfall Gabriels. Überfall. Über ihm fliegt eine ganze Putti-Schar. Wirbelwind. In helldunkelen Lichtern und Schatten überstrahlt die Taube des Heiligen Geistes das Geschehen. Der bibelkundige Bildbetrachter weiß um die Verkündigung und den Verweis auf die Taube: “Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten.” (Lk 1,35).

Im linken Teil des Bildes, draußen, vor einem hellen Morgenhimmel, sägt der tüchtige Josef Holzbretter zurecht. Er arbeitet an der Wiederherstellung einer venezianischen Palastruine. Alles recht virtuos gemalt. Ein Rebus ist der leere Stuhl. Ein ganz einfacher Stuhl, in der Mitte des Bildes angeordnet, grad unter dem leuchtenden Erzengel, und gegenüber der erschrockenen Maria. Ein Sperrmüllstuhl mit zerschlissenem Bastgeflecht. Ein Platz. Ein Platz für wen auch immer.