Samstag, 21. Juni 2008

Sara/ endgültiger Text (-versuch)

Zur morbiden Seite Venedigs

In der Abwesenheit Venedigs durchforste ich meine Bücher auf der Suche nach den Spuren dieser untergehenden Stadt. Wie von selbst schlängeln sich die Bücher-Themen nach venezianischer Kanalmanier um ähnlich morbide Themen – stinken, faulen und enden allesamt im Todesmeer.

„Nun treibt die Stadt schon nicht mehr wie ein Köder, der alle aufgetauchten Tage fängt. Die gläsernen Paläste klingen spröder an deinen Blick. Und aus den Gärten hängt der Sommer wie ein Haufen Marionetten kopfüber, müde, umgebracht.“ so liest sich ein Spätherbst in Venedig bei Rilke, dessen neue Gedichte einige Inspiration aus der fischförmigen Stadt empfangen. Und wie die bittere Erfüllung der sich selbst erfüllenden Prophezeiung, klingt es, wenn man bedenkt, dass der Dichter selbst Nachricht vom Tod einer seiner engsten Freundinnen, der Malerin Modersohn-Becker, inmitten der Kanäle Venedigs erhält...
Ganz anders motiviert, aber ebenfalls zwischen den Wasserstraßen unterwegs, ist Comissario Brunetti: Der von Donna Leon kreierte Polizeikommissar, ist stets mit der Aufklärung dunkler Gewaltverbrechen in der Stadt der tausend Vaporetti beschäftigt. Der Widerspruch zwischen romantischer Kulisse venezianischer Kanäle, Gondeln, Kirchen, dem Markusplatz und Tauben einerseits und dem schmutzigen, stinkenden Kanalwasser andererseits, in dem Leichen treiben oder was von ihnen übrig blieb, verleiht diesen Krimis eine besonders gruselige Kulisse.
„Es war ein Meisterschuß. Die Ärzte waren entzückt. Ich wurde herumgereicht. Zur rechten Schläfe hinein und zur linken hinaus. Ganz gut für einen Anfänger“, so Emilio der in Blick auf Venedig von Günther Eich nach einer erfolgreichen Behandlung seiner Blindheit mit der neuen Welt nicht zurecht kommt und sich schließlich am Ende des Stücks diesen rettenden Schuss setzt: er verliert abermals sein Augenlicht und kann fortan wieder als Blinder in Venedig leben – nur mehr angewiesen auf die Geräusche und Gerüche, die diese Stadt aussendet.
„(...) an seinem eisernen Rundtischchen auf der Schattenseite des Platzes sitzend, witterte er plötzlich in der Luft ein eigentümliches Arom, von dem ihm jetzt schien, als habe es schon seit Tagen, ohne ihm ins Bewusstsein zu dringen, seinen Sinn berührt, - einen süßlich-offizinellen Geruch, der an Elend und Wunden und verdächtige Reinlichkeit erinnerte.“ Der Tod in Venedig von Thomas Mann unterstreicht die These der Verarbeitung Venedigs als morbide Stadt in der Literatur aufs deutlichste: Hier tritt der Tod sogar als personifizierte Gestalt auf, die den Protagonisten Aschenbach heimsuchen und ihm ein Ende setzen wird.
Das langsame Hinsiechen ist beim puren Lesen des Titels bereits spürbar.

Soweit zu meinem Bücherregal.

Lebt diese Stadt nicht vor allem von dem, was war und nicht mehr ist und schlägt noch ein Geschäft aus ihrem eigenen, angekündigten Untergang?
Was könnte nicht morbider und venezianischer zugleich sein?

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