Samstag, 14. Juni 2008

Sara Magdalena Schüller/endgültiger Text_Entwurf

Die Morbidität Venedigs in meinem Bücherregal
In der Abwesenheit Venedigs durchforste ich meine Bücher auf der Suche nach den Spuren dieser untergehenden Stadt. Wie von selbst schlängeln sich die Bücher-Themen nach venezianischer Kanalmanier um ähnlich morbide Themen, enden allesamt im Todesmeer.

„Es war ein Meisterschuß. Die Ärzte waren entzückt. Ich wurde herumgereicht. Zur rechten Schläfe hinein und zur linken hinaus. Ganz gut für einen Anfänger“, so Emilio der in Blick auf Venedig von Günther Eich nach einer erfolgreichen Behandlung seiner Blindheit mit der neuen Welt nicht zurecht kommt und sich schließlich diesen Schuss setzt, um sein Augenlicht abermals zu verlieren und in Venedig wieder als Blinder zu leben.
Und auch in Stadt der Masken, ein Jugendroman, der sowohl in England der Jetztzeit als auch in einer Art Parallelwelt zum Venedig des Mittelalters spielt, geht es um das Thema Tod: der jugendliche Protagonist leidet an Leukämie und stirbt schließlich in der Jetztzeit, während er in der Parallelwelt des mittelalterlichen Venedigs weiterleben kann.
Oder die Kriminalromane der Bestseller-Autorin Donna Leon: Ihr berühmt gewordener und mittlerweile auch verfilmter Comissario Brunetti ist stets mit der Aufklärung dunkler Gewaltverbrechen in der Stadt der Vaporetti unterwegs. Der Widerspruch zwischen der romantischen Kulisse der Kanäle, Gondeln, Kirchen, Markusplatz, Tauben und dergleichen und dem schmutzigen, stinkenden Kanalwasser, in dem Leichen treiben, verleiht diesen Verbrechen eine besonders gruselige Konnotation.
Der Klassiker sämtlicher Deutsch-Leistungskurse Der Tod in Venedig von Thomas Mann unterstreicht die These der Verarbeitung Venedigs als morbide Stadt in der Literatur aufs deutlichste: Hier tritt der Tod sogar als personifizierte Gestalt auf, die den Protagonisten heimsuchen und ihm ein Ende setzen wird. Das langsame Hinsiechen ist beim puren Lesen des Titels bereits spürbar.
Und auch in völlig anderen Zusammenhängen taucht Venedig als die mit dem Tod verbundene Stadt auf: so hat beispielsweise Rilke hier vom Tod seiner seelenverwandten Freundin, der Malerin Paula Modersohn Becker erfahren.
Soweit zu meinem Bücherregal.

Lebt die Stadt nicht vor allem von dem, was war und schlägt noch ein Geschäft aus ihrem eigenen angekündigten Untergang?
Was könnte nicht morbider und venezianischer zugleich sein?

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