Freitag, 13. Juni 2008

Venedig, ein Museum, Ojektivierungsversuch, Juliane Link

Venedig, ein Museum

Museum ist altgriechisch, das Heiligtum der Musen.
Venedig ist ein Heiligtum der Musen und der apostolischen Gebeine.
Auch ein Tempel der schönen Künste, denn alles Venezianische ist schön und Kunst, versteht sich. Ein Freizeitpark für Romantiker aller Herrenländer, die kommen der Allerdurchlauchtigsten zu huldigen. Ein Freilichtmuseum, in dem Touristen Tauben füttern, über Kanäle schippern und Schlange stehen für Waffeleis.

Ein Museum ist ein Ort, an dem etwas bewahrt und erhalten werden soll. Im Fall Venedigs handelt es sich dabei um eine ganze Stadt, die Zeit läuft, der Putz bröckelt, die Flut steigt. Und was wäre Venedig ohne Konservierungsstoffe?

Ein Museum empfängt Besucher, täglich außer montags oder dienstags. Auch Venedig empfängt Besucher, täglich auch montags und dienstags.
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Ein Museum ist ein Ort, der eine Brücke schlägt von der Vergangenheit zur Gegenwart oder umgekehrt. Auch Venedig schlägt Brücken, aber nur zu sich selbst.

Ein Museum ist in aller Regel der Tradition mehr verbunden als der der Veränderung.
Und Venedig? Gibt es Veränderung in Venedig? Gibt es ein Venedig, das ohne Vergangenheit auskommt? Oder gibt es Venedig immer nur im Bezug auf eine frühere Version seiner selbst?

In einem Museum befinden sich Dinge, die sich mehr oder weniger ähnlich sind, meistens mehr. Auch in Venedig befinden sich Gebäude, die sich mehr oder weniger ähnlich sind, meistens noch mehr.

Ein Museum kostet Eintritt, wenn es etwas auf sich hält. Auch Venedig kostet Eintritt und zwar bei jeder Gelegenheit, also zahlt man mehrmals. In Venedig wiederholen sich die Dinge.

Ein Museum ist entweder geöffnet oder geschlossen. Venedig ist beides zugleich.

Im Museum kann man sich am Ausgang Postkarten kaufen. In Venedig gibt es keinen Ausgang, aber Postkarten gibt es überall.

In einem Museum bestehen Hierarchien. Es gibt einen Direktor, einen Kurator, einen Restaurator und Putzfrauen. Auch in Venedig bestehen Hierarchien: Es gibt Privatpersonen mit sehr viel Geld und eigenem Palast, hinter den Supermarktkassen Frauen mit Namenschildchen, auf denen „Elisabeta“ und „Maria“ steht und nahe der Brücken illegale Einwanderer mit falschen Gucci-Handtaschen auf Plastikplanen.

In einem Museum werden Führungen angeboten, für Venedig Rundfahrten empfohlen.

Jedes Museum hat seine Mona Lisa. Venedig hat es noch besser. Venedig hat San Marco.

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