Dienstag, 10. Juni 2008

Déjà- vu/ Svenja Wolff/ Objektivierungsversuch/ 11.6.08

Déjà- vu

Nan Goldin hat über das Portraitieren einmal gesagt, dass ein Portrait eines Menschen nicht ein einziges Foto sein kann, sondern dass es sich erst aus vielen Bildern derselben Person in unterschiedlichsten Situationen und Lebenslagen zusammensetzt; es wird umso leibhaftiger, je mehr Facetten einer Person widergespiegelt werden.
Wie portraitiert man eine Stadt?

Venedig ist voll von Bildern. Gemälden. Aussichtspunkten. Postkartenansichten. In den malerischen Gassen drängen sich die Souvenirshops aneinander, in denen es eine Fülle an solchem Bildmaterial gibt. Man könnte sich fragen, ob die Touristen, die sich in Massen durch eben diese Gassen schieben, wiederum mehr auf diese Bilder starren als auf die Realkulisse in der sie sich befinden.
Man macht sich ein Bild von Venedig, indem man Bilder rezipiert - und diese verflechtet mit dem, was man sieht, wenn man durch die Gassen läuft.
„Das habe ich doch schon mal gesehen...“ oder „Hier bin ich doch schon mal gewesen...“ schießt einem als Besucher ständig durch den Kopf.
Nicht nur in der Stadt, sondern in der ganzen Welt, findet man Ansichten über die einzigartige Stadt und ihre Einzigartigkeit.
Wenn man auf den Haupttouristenpfaden die Sehenswürdigkeiten abklappert, kommt man nicht umhin, das Gefühl zu haben, das meiste doch schon irgendwoher zu kennen.
Wenn man sich dazu noch für Kunst interessiert, ist einem sicherlich schon einmal das eine oder andere Bild eines Renaissancemalers aus Venedig untergekommen, oder zumindest kann man die Bilder diesem oder jenem Stil zuordnen.
Vielleicht ist ein Teil Venedigs und ihrer Schätze in ein allgemeines (europäisches) kollektives Gedächtnis, einer Art Bilderkanon, eingegangen. Als in Europa aufgewachsener Mensch erlebt man nun dort etwas, was sich in Bildung und Prägung eh schon ins Bewusstsein gesetzt hatte.

Ein ähnliches Déjà-vu-Erlebnis kann jedoch auch abseits der allseits bekannten Venedigkulissen geschehen: auch wenn man sich bewusst von den Hauptattraktionen fernhält, kann es einem in dem Gassenwirrwarr leicht passieren, dass man eine bestimmte Ecke wieder zu erkennen glaubt, (ausgenommen, man ist tatsächlich im Kreis gelaufen). Durch die Wasserbegrenzung bleibt Venedig in ihrer Unüberschaubarkeit eben doch überschaubar.
Durch gegebene Umstände (wie z. B. der hohe Salzgehalt in der Luft) wiederholen sich bestimmte Anblicke: die anmutend romantisch modernden Fassaden scheinen eine Art Markenzeichen der Stadt zu sein.
Eigenartig bleibt doch, dass man gerade in einer Stadt, deren Einzigartigkeit immer wieder betont wird, immer wieder Déjà-vu-Erlebnisse hat.
Vielleicht fallen einem Details vermehrt wegen ihrer Einzigartigkeit auf, da sie in anderen Städten nicht vorhanden sind, sie sich jedoch innerhalb Venedigs immer wieder wiederholen. Regenrinnen an Häusern die man in fast jeder ‚normalen’ Stadt findet, fallen Besuchern sicherlich nicht so frappierend auf wie Venedigs unzählige Treppen, die im Wasser verschwinden, die Shops mit Masken und Glasperlen, die Gondolieri in ihren gestreiften Hemden oder die bewegten Gemälde in leuchtenden Farben mit (sich oft wiederholendem) christlichen Motiv.

Welches Bild bleibt von der Stadt? Woraus setzt sich ihr Portrait zusammen?
Vielleicht fängt man am besten damit an, wie sie sich selbst präsentiert. Obwohl die Stadt voller einzigartiger Motive steckt, gibt es erstaunlicherweise eine Vielzahl an Postkarten in den schon erwähnten Souvenirshops, die sich unnötigerweise der Fotomontage bedienen. Da jagt ein kitschiges Motiv das andere, das kleine DIN A5 Format wird überladen mit städtischer Silhouette, Gondeln, farbenprächtigem Sonnenuntergang und natürlich – Wasser. Ein bisschen zu viel Venedig.
Doch die Montage birgt eine Wahrheit in sich: Venedig wird zusammengestückelt, aus dem, was man wirklich sieht, was man sehen will, und was man schon gesehen hat.
So viel Kunst, so viel Kunstvolles und Künstliches auch im Alltäglichen auf so dichtem Raum hinterlässt zwangsläufig einen ähnlichen Eindruck wie eine Fotomontage: beeindruckend, doch irgendwie nicht ganz echt. Das kann doch gar nicht sein.
Es vermischen sich Reproduktionen mit eigenen Rezeptionen.
Je mehr Bilder dazukommen, umso klarer müsste Venedig in ihren verschiedenen Facetten, in ihrem Wesen sichtbar werden, doch paradoxerweise wird durch die Fülle an Bildern eher an ihrer Echtheit gerüttelt, oder vielmehr: sie scheint ungreifbar, unbegreiflich.

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