Mittwoch, 11. Juni 2008

120608/Piccolo Mondo/Marion Starke

Venedigs Pegel ist überschritten.
Zwei Uhr früh. Der Geruch von spanischen Filterzigaretten steigt mir in die Nase. Fortuna. Kay ist hinter mir. Ich klingel an der Tür des Piccolo Mondo. Ein Schwarzer Ende 20 und ein italienisch gebräunter Türsteher Mitte 30 im schwarzen Anzug, frisch rasiert, ein Hauch von Moschus. Beide sind sehr charmant-elegant – wie die Türsteher der Hamburger Nobelbar „Indochine“. Nach südländischen Feilschaktionen treten wir in die Disco der alten Republik. Das Interieur erinnert an eine Shishabar: klein, beengt, byzantinisches Ambiente. Die Tanzfläche ist leer. Die ungarische Barkeeperin mixt uns Pina Coladas. Kein Obst, keine Sahne, kein Schirmchen.

Der Musikgeschmack ist 'de gustibus' - wie ein Italiener (mit Latinum in der Tasche) mir erklärt. Der ca. 58-jährige italienische DJ im rosa-türkisem Hawaiihemd und mit Pornobrille (blau verspiegelt) trägt Schweißperlen auf seinen polierten Geheimratsecken. Er ist im Besitz von ca. 2.000 MP3-Dateien ungeklärter Herkunft und von 500 als "geklaut" eingestuften Videoclips. Die Federazione dell'industria musicale italiana (FIMI), also der Verband der italienischen Musikindustrie, sollte auch hier die Finanzpolizei zur Ace of Base-Razzia ansetzen.

Immer mehr California Girlz in Minirock und High Heels wippen ihre Booties im Takt zu Captain Jack. Kay hat Fortuna.
Bierphile Britinnen, Bierbauch-Besitzer (mit weißen Tennissocken) und elegant gekleidete Französinnen scheinen hier nicht im Trend zu liegen. Südeuropa ist von Italo-Lovern besetzt. Ihr bevorzugter Dresscode ist Macho-Mafiosi. Sie sind wie eine eigene Kaste: 350g Gel pro Löckchen, Waigel-Augenbrauen auf der Brust, die aus dem offenen weißen Leinenhemd ragen und einen Kampf mit dem Goldkettchen austragen, das sich in dem öligen Haar verzwirbelt hat.

Umringt von 1,65 m großen durch Proteinshakes selbsternannten Sexbombs bahne ich mir meinen Weg von einer Ecke in die nächste. Überall wird gezupft, gezerrt, berührt, betatscht. Freitanzen, Freilufttanzen. Escape: Exit. Sara und Ashley versuchen italienisches Balzverhalten zu imitieren. Die Türsteher ermahnen uns die Lautstärke einzupegeln.

Die Tanztraditionen reicht wie auch der Musikgeschmack von Timberlakes Lovestoned über Rihannas Umbrella bis hin zu Gasolina-Techno-Beats. Kay sehnt sich nach Britney. Timburi, ein kleiner Russe, der sich aus der Italiener-Elf gelöst hat, nach mir. Mit zuckendem Unterkörper versucht er Kontakt aufzunehmen. Die letzten Abfuhren hat er aufgrund seiner Vorliebe Spirituosen pur zu genießen, nicht reflektieren können.
Um den Abend mit schmalzlockigen Casanovas zu ertragen, verfalle ich in Tanzwut und versuche Kay Salsa beizubringen. Seine Hüften verstehen nur Elektro-Beats.

"Jak si bawi, to si bawi…drzwi wywali potem wstawi" (Wenn du feierst, dann feiere wirklich - mach die Tür kaputt und hinterher wieder heil), gibt uns Micha alias 'Der Heilige' aus Polen mit auf den Weg.
Eines haben alle europäischen Partygänger gemeinsam: dieses traurige Gefühl, wenn man sich bereits wieder auf dem Heimweg befindet. Die amerikanischen Booties verbringen ihre Zeit noch im Oba Kebab am Campo de la carità; wir im Kloster.

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